Ich habe glücklicherweise noch nie die Erfahrung gemacht versetzt zu werden. Wenn ich mich mit jemanden verabredet habe, sind die betreffenden Personen auch immer erschienen. Ehrlich gesagt müssten meine Freunde eher die Befürchtung haben, dass ich umgekehrt sie versetzen könnte. Das geschieht nicht absichtlich, eher sind thailändische Gene daran schuld, dass ich mich viel zu oft verspäte oder sogar Gefahr laufen könnte einen Termin sprichwörtlich zu verpennen. Thailänder gelten generell als recht entspannt – sehr zum persönlichem Ärgernis mancher Europäer. Pünktlichkeit wird vor allem in Deutschland groß geschrieben. Verspäte dich um einige Minuten und du erntest garantiert böse Blicke.

in fremder Haut

Einem Hauch von den Emotionen, die eine nicht wahrgenommene Verabredung bei der wartenden Person auslösen kann, vermittelt das Spiel „Dinner Date“, einem sehr experimentellem Indie-Game, in dem sich ein junger Mann namens Julian Luxemburg mit einer attraktiven asiatischen Frau zum besagten Dinner bei ihm Zuhause verabredet hat, die aber leider nie auftaucht. Steuern tun wir Julian nicht selbst, sondern sein Unterbewusstsein. Während er über seine Situation sinniert, sagen wir ihm, auf welche Gegenstände er sich konzentrieren soll, indem wir die entsprechende Taste darüber drücken. Auf diese Weise können wir Julian dazu bringen auf die Uhr zu schauen, sein Brot in Soße zu tunken oder eine Zigarette zu rauchen. Interaktivität ist aber nicht die Stärke von „Dinner Date“, denn einen wesentlichen Einfluss auf Julians Gedankengang haben wir nicht.

Erheblich interessanter an dem Spiel ist es die Erfahrung mit Julian zu teilen. So wartet er vergeblich den ganzen Abend – die gesamte Mahlzeit schon hergerichtet und der Tisch gedeckt – und kämpft mit seiner Enttäuschung, seiner Wut, aber auch mit Scham. Julian lässt seinen Gedanken freien Lauf. Er lästert über seine Arbeitskollegen, rekapituliert über das Verhältnis zu seinem Freundeskreis und prangert seine Unzufriedenheit über sein kleines, mickriges Leben an. Und Julian ist geil. Geil auf die kleine Asiatin, die er nach dem Dinner gerne als Nachtisch vernascht hätte. Der Frust darüber wiegt umso schwerer, als Julian sich am Ende des Abends unter alkoholischem Einfluss einer komplett ausgetrunkenen Flasche Wein dazu entschließt in die Nacht hinauszutreten, um seinen Freunden hinterherzulaufen. Die feiern bereits ausgiebig den ganzen Abend auf irgendwelchen Parties. Die Asiatin ist vermutlich auch dort. Und vielleicht sogar im Begriff jemand anderen zu ficken.

neue Vorsätze

Ist „Dinner Date“ ein gutes Spiel? Bei aller Liebe: Leider nicht. Dazu ist der Grad der Interaktion einfach zu gering. Aber es ist eine kurze, sonderbare Erfahrung, die durchaus etwas aufgelöst zurück lässt. Nach Beendigung des Spiels hatte ich jedenfalls den Vorsatz die akademische Viertelstunde nicht mehr allzu sehr zu strapazieren.[1]

  1. [1]Dieser kleine Artikel ist im Rahmen einer Adventskalenderaktion auch bei unseren Kollegen bei www. polyneux.de erschienen