Stellen Sie sich vor; ein normaler Arbeitstag, Sie wachen auf, machen sich einen Kaffee und gehen zur Arbeit. Fahren mit dem Transitsystem des Gebäudekomplexes herum und wissen, dass heute ein normaler Tag ist … bis auf die Tatsache, dass heute ein Experiment stattfindet, welches noch nie durchgeführt wurde!

Das Anfangsszenario des legendären Computerspiels „Half-Life“. Der Spieler schlüpft in die Rolle des Wissenschaftlers Gordon Freeman. Er arbeitet in einem Komplex namens Blackmesa, einer unterirdischen Forschungsanlage á la Area 51 irgendwo in Arizona. Sein Arbeitsbereich liegt hunderte von Metern unter der Erdoberfläche und die Sicherheitsvorkehrungen sind dermaßen von kompliziert, dass der Zutritt für Unbefugte schlicht unmöglich ist.
Während eines Experiment mit einem unbekannten Material geschieht das Unfassbare. Gordon Freeman wird für wenige Sekunden zu einem anderen, bis dahin unbekannten Ort gebeamt. Als er dann wieder im Testlabor ist, findet er alles in Schutt und Asche. Stahlträger hängen von der Decke, Energieblitze schiessen überall hin, tote und schwer verletzte Wissenschaftler, und dann sind da diese Kreaturen, Geschöpfe aus einer anderen Welt …

Like no other

… mit Half-Life gelang Sierra und Valvesoftware den wahren Durchbruch. Mit Half-Life konnte der Spieler nicht nur, wie sonst überall auch, seine Urinstinkte freien Lauf lassen, nein mit Half-Life wird man zum Protagonisten einer Story, zum Actionhelden eines 3D-Shooters, zur Schlüsselfigur einer Verschwörung.

Gordon Freeman’s Waffenarsenal gleicht gegen Ende einem Waffenschrank aus einem Schwarzeneggerfilm. Von der einfachen Pistole über eine MP mit Granatwerferfunktion bis hin zu myteriösen Energiewerfer, die einem Staubsauger ähneln (nur von der Wirkungsweise kann man den Staubsauger schlecht als Vergleich heranziehen), bekommt man wirklich alle erdenklichen Militärspielzeuge in die Hand.
Man fängt aber nicht gleich mit der stärksten Waffen an, nein, am Anfang hat gerade mal ein Brecheisen, während die Aliens, die per Zufall irgendwo auftauchen, mit ihren Schockwellen dann doch schon gefährlich werden können. Die Gegner sind aber nicht nur Aliens. Es sind vorallem die ausgesandten Eingreiftruppen der Regierung (Marines in der englischen Version), die einem den Arsch wegblasen wollen. Diese Robotersoldaten sind sogar sehr geschickt! Während einer den Spieler ablenkt und wieder in Deckung geht, umläuft der zweite das Sichfeld und attackiert von der Seite.
Aber nicht nur klopsige Roboter sind hinter Ihnen her. Eine weitere unabhändige Gruppe von Regierungseinheiten, den Assassinen, wurde geschickt um der Lage Herr zu werden. Deren Feinheit liegt darin tödlich und schnell vorzugehen. Man hört sie nicht, man sieht sie nicht und trotzdem sind sie überall. Die Aliens erweisen sich da nicht so geschickt, dafür aber als zahlreich. Zusätzlich erschweren diese immer genau dann den Weg, wenn es wirklich darauf ankommt konzentriert den Weg zu nehmen, so z. B. auf einem Stahlträger oder ähnlichem!

Schlecht gealtert?

Half-Life bot eine wunderbare, für damalige Maßstäbe noch neuartig wirkende bis zu geniale Grafikengine. Die Designer hatten sich sehr viel Mühe gemacht Texturen und Gestände getrau nach zu bilden und bieten somit dem Spieler genau das richtige Ambiente. Es existieren immer wieder karge Wände in einem Gebäudekomplex, diese aber werden durch Wandgemälde, Poster, anitmierte Anzeigetafeln und sonstiges verziert. Somit fiel es garnicht mehr auf, dass man nicht in der Wirklichkeit war. Schaut man nun heute, etwa 12 Jahre später, wieder auf das Spiel, so kann man kaum glauben, dass Half-Life damals zu dem visuellen Glanzstücken gehörte. Gerade die Animationen galten als filmreif.
Kleine Grafikfehler waren natürlich nie zu vermeiden, aber wer achtet schon auf den Pixel an der falschen Stelle, wenn die Musik anfängt dramatisch zu werden. Überraschungseffekte in Ton und Bild sind hinter jeder neuen Ecke zu erwarten. Mal springt die Wand auf und ein Alien schiesst hervor, mal explodiert im flaschen Moment die Tür und macht den Weg hindurch einfach unmöglich oder eine Kaffeetasse zerspringt in der Mikrowelle. Gimmicks wie letzt genanntes sind Zuhauf zu finden.
Besonders witzig und sehr passend sind vordefinierte Szenen mitten im Spiel. So läuft man am Fenster vorbei und sieht nur noch wie Wissenschaftler versuchen durch den Lüftungsschacht zu entkommen. Schockierenderweise werden diese sogar dort hineingezogen und verursachen mit solch mysteriösen Ereignissen die Atmosphäre eines Akte-X Films.

Generell sollte Half-Life zum Maßstab für interaktives Erzählen werden. Waren Storyelemente in Spielen bis dato in Form von Cutscenes streng vom eigentlichen Spiel getrennt, wurde die Geschichte in Half-Life während des laufenden Spiels erzählt. Das führte zu einem hohen Grad der Immersion, den damals bisher noch kein Spiel bot. Gescriptete Sequenzen sehen wir heute alle Nase lang und sie gelten schon fast als langweilig. Was heute für Sie Routine ist, war damals eine sensationelle Revolution.

Zu erwähnen wäre da noch dieser Mann mit dem Aktenkoffer und dem grauen Anzug. Kennen Sie die Figuren in einem Film, die immer wieder auftauchen und dann ihnen um Haaresbreite wieder entwischen? Ja, dann wissen Sie wen ich meine, wenn ein Charakter im grauen Anzug überall seine Finger im Spiel hat.

Verändert? Revolutioniert!

Seit Quake I und Jedi Knight ist die Tastatur/Maus-Steurung Standard im 3D-Genre. Deshalb hat Half-Life diese natürlich auch aufgenommen um so die dritte Dimension wirklich auszunutzen. Es hat sich sogar die Half-Life-Steurung so eingebürgert, dass manche die Tastenkombinationen aus HL in andere Spiele wie Unreal Tournament übernommen haben, weil diese einfach unschlagbar ist. Für Leute die noch an die alten Duke-Tasten gewöhnt sind, sollten doch noch einige Stunden Gewöhnungszeit brauchen um sich damit zurecht zu finden.

Half-Life bot nicht nur die perfekt erzählte Einzelplayerstory. Nein man konnte natürlich auch Multiplayer spielen. Dazu gab es die üblichen Sachen wie Internetplay und Lanplay im Deathmatch, Team-Deathmatch etc.
Aber das besondere ist: Programmierer hatten die Chance, ähnlich wie bei Quake, mit Half-Life ihr eigenes Spiel zu entwerfen, welches zwar auf Half-Lifes Engine basiert, aber komplett neue Stories, Spielmodies und vieles mehr bietet.
Die sogenannten Modifikationen gab und gibt es überall zu haben, meist zum freien Download. Direkt mitgeliefert wurde Team Fortress, ein Capture-the-Flag-Multiplayer. Andere Modifikationen haben es zum eigenen Spiel geschafft, wie etwa Gunman Chronicles, oder das berühmt berüchtigte Half-Life. Mods haben mit Half-Life die Hürde der kleinen Geek-Spielerei zur regelrechten Gaming-Kultur genommen. Heute sind Modifikationen von Fans nicht mehr wegzudenken.

Wer schon immer ein Spiel spielen wollte, dass mehr verspricht als es die Packung hergibt, dann sollte er doch zu dieser Packung zu greifen. Das gilt seltsamerweise auch heute noch. Die Grafik mag veraltet sein, das Gameplay einfach gesrickt. Aber inhaltlich zählt Half-Life immer zu einem der spannendsten Spiele aller Zeiten. Best game of everything.