Ich mag die Welt von Syndicate. Aus dem vielleicht seltsamen Grund, dass es dort nichts zu mögen gibt. Die Spiele sind in einer totalen Dystopie angesiedelt; in einer Welt, in der nicht der Staat, sondern Großkonzerne die Kontrolle haben und sich im Kampf um die Weltherrschaft mit militärischen Mitteln bekriegen. Die uns bekannten ethischen Werte in Bezug auf die Wertschätzung menschlichen Lebens spielt für die Syndikate nur eine untergeordnete Rolle. Solange es um die Bewahrung der Machtverhältnisse geht, sind zivile Opfer absolut vertretbar. Da jeder halbwegs habende Bürger mittels im Kopf implantierten Chips mit den Informationsnetzwerken der Konzerne vernetzt ist, ist auch Manipulation etwas völlig alltägliches. Menschen, die weder Geld, noch eine sinnvolle Funktion für die Mächtigen haben, werden in den Slums ihnen selbst überlassen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist massiver als je zuvor und wirkliche Freiheit besitzen nur die mächtigsten der Mächtigsten.
Die Welt von Syndicate ist ein Cyperpunk-Alptraum; ein Film noir des Sci-Fi, der hoffentlich nie eintreten wird. Ein Worst Case-Szenario, das vielleicht schlimmer ist als die Vernichtung durch einen vierten Weltkrieg. Das gesamte Setting ist so beängstigend und kalt, dass es mich aus diesem Grund enorm fasziniert. Eine Art böser Bruder zum eskaliertem Transhumanismus von Deus Ex; wenn man so möchte, auch wenn beide Spiele thematisch noch ein Stück voneinander entfernt sind. Mit der Ankündigung einer Neuinterpretation der Strategiespiele in Form eines Ego-Shooters war es also ein leichtes, sofort mein Interesse zu gewinnen.

im Wandel der Zeit

Der Genrewechsel hat mich persönlich noch nie gestört. Die beiden Strategiespiele habe ich damals gerne und ausführlich gespielt und ich glaube kaum, dass man mit einer genregetreuen Neuauflage mehr als neue Technik hinzufügen könnte. Mit Syndicate Wars war das Thema für mich ausgereizt und ich hätte keine weitere Strategie-Fortsetzung gebraucht. Ein Wechsel zum Ego-Shooter hingegen modifiziert die dramaturgischen Möglichkeiten und könnte die Dystopie aus einem anderen Blickwinkel erfahrbar machen. Selbst durch sie hindurchgehen: Das hatte Reiz. Meine Erwartungen hat das neue Spiel diesbezüglich allerdings nur teilweise erfüllen können. Man übernimmt die Rolle eines Agenten, der für Eurocorp arbeitet und der unabsichtlich Teil einer großen Verschwörung wird. Das klingt nach einem ordentlichen Ansatz für einen Shooter, viel daraus gemacht haben die Entwickler allerdings nicht.

Auf der Haben-Seite befindet sich das Art Design, welches mir ausgesprochen gut gefallen hat. Das Spiel beginnt in Slums, welche mit hell leuchtenden Neon-Schildern, viel Regen, dunklen Ecken und Gestalten an Blade Runner erinnern. Sicher, das ist nicht neu, aber selbst dort durchzulaufen vermittelt trotzdem eine unangenehme Stimmung, die man gerne abschütteln möchte. Unbequem wird es vor allem auch durch die zahlreichen Lichtverschmutzungen auf der virtuellen Kameralinse. Man wird häufig geblendet und oft leuchtet von der Seite eine Lichtquelle hinein. Es ist ein einfacher Trick, aber er funktioniert in Syndicate sehr gut.
In den ersten Minuten ist auch das HUD des Spielers auffällig: Neben den obligatorischen Vital- und Munitionsanzeigen fallen auch ständig aufploppende Informationen neben Objekten in der Spielewelt auf. Ob Bildschirme, Kontrollpulte, Schalter, Türen, Personen oder Kabelleitungen: Durch die ständige Vernetzung mit Eurocorp werden aus dem Wissensfundus laufend Informationen abgerufen. Es macht zwar wenig Sinn, dass dem Agenten auch so banale Gegenstände wie Tassen erklärt werden, aber so erklären sich wenigstens die sonst aus Actionspielen bekannten Anzeigen der Marke „Benutze bitte diesen Knopf.“ Im Kopf des Protagonisten steckt ein Computer, der mit weiblicher Stimme ständig mit ihm spricht. Sie sagt was zu tun ist, schickt alle möglichen Daten von Konzern zum Agenten und umgekehrt. Linear einem Pfad folgen wirkt mit dieser Darstellung etwas überzeugender; schlicht, weil man einfach nur Befehle befolgt, die von oben kommen. Sprichwörtlich.

weniger ist manchmal mehr

Die schmutzige Dunkelheit der Slums steht im totalen Kontrast zu den Mittel- und Spitzenbereichen der unglaublich hohen Wolkenkratzer, in denen Mittelstand und Führungskräfte leben. Das Innere von Eurocorp beispielsweise ist clean, modern, aufgeräumt. Besucherareale sind mit edlem Parkett oder glänzenden Fliesen ausgestattet; während Forschungsbereiche etwas klinisches an sich haben. Auch das haben wir schon einmal in anderen Spielen und Filmen gesehen, aber auch hier gilt: Es ist sehr bodenständig und deshalb überzeugend dargestellt. Allein die Farbpalette ist sehr sorgfältig ausgewählt und sorgt dafür, dass sich nicht jedes Gebäude gleich anfühlt. Ich hatte nie Zweifel daran mich durch Architekturen der Zukunft zu bewegen, in denen auch Menschen unterwegs sind.

Ebenfalls sehr gefallen hat mir das Spiel an sich. Die Starbreeze Studios, die schon mit den beiden Riddick-Spielen und dem ersten Teil von „The Darkness“ wertvolle Erfahrungen sammeln konnten, lassen hier ihr ganzes Können einfließen. Und es hat sich gelohnt: Das Waffenfeedback erfüllt alle Wünsche, die Bewegung der eigenen Figur fühlt sich organisch an und die Gegner-KI hat keine Scheu auch einmal aggressiv anzugreifen und zu flankieren. Passend zum dystopischen Szenario hat der Spieler zudem die Möglichkeit, die Chips in den Köpfen der Gegner zu hacken. So kann man sie makabererweise dazu bringen, mit einer Granate Selbstmord zu begehen und nebenher noch Kameraden in den Tod zu reißen. Im richtigen Moment eine Drone gehackt zu haben und somit die Karten im Gefecht neu zu mischen, hat etwas sehr befriedigendes an sich. Trotz der an heutigen Actionspielen gemessen eher zurückhaltenden gescripteten Ereignissen wird man regelrecht durch das Spiel gepeitscht. Man wird laufend vom Jäger zum Gejagten. Und umgekehrt. Ich habe das Pacing von Syndicate sehr genossen.

weniger … kann wiederum zu wenig sein

Aber es ist eben leider nicht mehr. Die anfängliche Begeisterung über die visuell tolle Darstellung der Alptraumwelt wich der Ernüchterung, dass die Chance nicht genutzt wurde eine griffige Geschichte zu erzählen. Dabei wurde eigens der Hardboiled/Cyberpunk-Autor Richard K. Morgan als Lead Writer engagiert, der immerhin für seinen ersten Roman mit dem Philip K. Dick-Award ausgezeichnet wurde. Von dem Einfluss eines Schriftstellers ist im Spiel allerdings nur wenig zu spüren. Zwar sind überall Dokumente verteilt, die einige Informationen zur Welt und wichtigen Persönlichkeiten in dieser beinhalten, doch abgesehen davon, dass sie den Flow des eigentlich schnellen Spiels nur unnötig unterbrechen, sind sie eine ungenutzte Plattform für die folglich unterentwickelte Handlung für den Protagonisten. Man hat das Gefühl die Entwickler wollten, dass der Spieler alle Aspekte der Dystopie im Vorbeigehen sieht und sich mithilfe der Dokumente seinen eigenen Reim auf das macht, was er gar nicht oder nur kurz zu Gesicht bekommen hat. Das funktioniert aber nur bedingt, da das Spiel nicht den Mut besitzt Partei zu ergreifen. Der Protagonist ist ein Spielball von verschiedenen Charakteren, die ihn alle für eigene Zwecke missbrauchen. Keiner von Ihnen kann als Sympathieträger herhalten, da weder ihre Motivation hinreichend, noch ihre Beziehungen zueinander einigermaßen plausibel dargestellt wird. Man weiß eben nur, dass die Welt böse ist und am Ende alle Arschlöcher sind. Wofür der Spieler aber kämpfen soll, also auf welches übergeordnete (!) Ziel hingearbeitet wird, ist bis zum letzten Level nicht klar. Wenn das reine Ausführen von Befehlen und die moralische Orientierungslosigkeit die Absicht der Entwickler bzw. von Morgan war: Dies ist gelungen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es der richtige Ansatz für einen Ego-Shooter ist, der sich vornehmlich auf die Ich-Perspektive einer einzelnen Person konzentriert. Ich hatte das Gefühl, die Welt von Syndicate hat noch viel, viel mehr zu bieten. Das es noch viel mehr Fragen gibt, die beantwortet werden wollen. Fragen und Hypothesen sind schließlich das spannendste an Science-Fiction.

So bleibt mit Syndicate ein Spiel, dass mich etwas unzufrieden zurückgelassen hat. Keine Frage: An dem spielerischen Teil hatte ich meine Freude, und ich kann mich eine ganze Zeit lang mit dem sehr gelungenen Koop-Modus trösten, der mir allemal lieber ist, als sämtliche Kriegsshooter dieser Welt. Doch es ist auf eine seltsame Weise schade, dass meine Alpträume bezüglich unserer Zukunft greifbarer wirken als eines der düstersten Sci-Fi-Spiele unserer Zeit.