Puzzlespielen fehlt mir als Fan von „Immersion“ oft zu sehr das Gefühl, dabei zu sein. Hellhörig werde ich aber, wenn Titel dieses Genres das Problem umgehen, indem es auf für Puzzler ungewöhnliche Elemente wie zum Beispiel die Egoperspektive setzt. Und völlig gewinnen kann man mich, wenn es dann sogar um Musik geht. Und wenn dann noch eine abgespacete tron-ähnliche Optik hinzukommt, haben wir einen beeindruckenden kleinen Indie-Titel namens FRACT OSC.

Es beginnt mit der Neugier …
Musiker kennen das gewiss vom Auspacken und ersten Nutzen eines neuen Synthesizers: Man weiß noch nicht so genau, was welcher Regler macht und wofür die meißten Knöpfe eigentlich sind. Man probiert also herum, bis es Klick macht und so tastet man sich an dieses neue Instrument heran, bis bald schon erste Beats und Arpeggios gebastelt sind. Exakt dieses Gefühl der … sagen wir „musikalischen Exploration“ erlebt wir als Spieler von FRACT OSC. Und das ist wirklich wörtlich zu verstehen, denn wir befinden uns in FRACT OSC in einer abstrakten Welt der elektronischen Musik. In einem Synthesizer. Sozusagen. Komplett mit Netzteil unter Strom setzen und hochfahren.

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Man bewegt sich durch eine offen erkundbare, weiträumige Welt in der verschiedene „Attraktionen“ verteilt sind. Diese Attraktionen sind Puzzle, die allesamt für Funktionen eines Synthesizers stehen, beispielsweise das Echo oder die Lautstärke für die Lead-Stimme. Die Idee hinter jedem Puzzle – dass sich das Team hinter FRACT OSC das so gedacht hat, könnte ich mir zumindest vorstellen: eine Art Entsprechung zu dem, was auditiv oder softwaretechnisch innerhalb eines Synthesizers passiert. Tonhöhen werden durch verschieden hohe Plattformen repräsentiert, ein Designer für musikalische Muster (der sog. Pattern-Sequenzer) durch eine Matrix von Anschlüssen, die man korrekt „verkabeln“ muss.
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Löst man eines dieser Puzzle, wird diese Funktion des Synthesizers freigeschaltet. Und das ist ebenfalls wirklich wörtlich zu verstehen, denn das raffinierte an FRACT OSC ist, dass es nicht nur aus dem Spiele-Part, also den Puzzle-Herausforderungen, besteht, sondern auch beinahe vollwertige Musiksoftware ist (warum das nur beinahe der Fall ist, dazu kommen wir später). Hat man nach dem ein oder anderen gelösten Puzzle grad keine Lust mehr auf’s Rätseln kann man also in sein Studio zurück und sich über alle Funktionen, die man soeben mit ordentlich Gehirnschmalz freigeschaltet hat, hermachen. Das bedeutet im Klartext: Lead-Stimme, Bass- oder zweite Stimme, Pad (für atmosphärische Klänge) und verschiedene Beats stehen zum Arrangement zur Verfügung und jede „Spur“ hat jeweils Unterfunktionen, wie – Verzeihung für den folgenden Musiknerd-Talk – Tone, Pinch und Bend oder Velocity. Allesamt natürlich nur nutzbar, wenn man die entsprechenden Rätsel schon enträtseln konnte.

Dieser kleine aber geniale Einfall macht aus FRACT OSC etwas wirklich Besonderes, denn sowas in der Art hat es meines Wissens noch nicht gegeben. So bekommt das Rätseln eine Agenda – man bekommt auch etwas dafür, dass man sein Hirn zermatert. Nicht, wie in den ganzen anderen Puzzle-Games WO MAN NIX KRIEGT! Die erspare ich meinem Gehirn lieber DUUUH(。々°).

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FRACT OSC motiviert den Spieler, auch den Rest des Studios freizuschalten, ohne großartig etwas zu kommunizieren oder zu erklären. Die verschiedenen Attraktionen sind einfach da und warten auf Erkundung. Das ist erfrischend anders im Vergleich zu vielen Puzzlern da draußen. Ich fühlte mich während meiner Reise oft an Monument Valley erinnert, während der Aspekt der Fremdartigkeit dieser tron-ähnlichen Welt und das allgemeine Gefühl der Einsamkeit für mich remineszent an LIMBO war (denn man kann übrigens auch draufgehen, wenn man sich so dämlich anstellt wie ich). Aber keine Sorge, FRACT OSC verzichtet komplett auf Gegner und man kann die Welt in seinem eigenen Tempo erkunden.

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Das Puzzle-Reich von FRACT OSC erschien mir oft beinahe grenzenlos (daher haben die Entwickler auch ein praktisches Fast-Travel-System eingebaut), leider kann ich das über den Studio-Part nicht sagen. Man kriegt zwar einen vollwertigen Mehrspur-Sequenzer spendiert mit Recording- (leider nicht MIDI-Keyboard kompatibel, sondern lediglich für die Songs die man quasi „live“ im Sequenzer abspielt) und Exportfunktion, aber mit den zwei Stimmen, einem Pad und einer Drum-Spur (wobei die Beats vorprogrammiert und leider nicht editierbar sind – was für mich als Hobbydrummer natürlich geradezu eine FARCE ist) lässt sich gewiss nicht so viel kreieren, wie ich mir gewünscht hätte. Klar ist das Meckern auf hohem Niveau, denn welches SPIEL bietet einem ÜBERHAUPT ein funktionsfähiges Mehrspur-Musikstudio und Effekten und Hastenichgesehn, aber etwas schade finde ich es doch. Zumal die Handhabung des Sequenzers im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch von der Hand geht und weniger in Gefrickel ausartet, als in „echter“ Musik-Software.
von der Note zum Takt, vom Takt zur Sequenz, von Sequenzen zu Spuren, von Spuren zum Song

FRACT OSC ist schon ein besonderer Titel. Ich kann ihn nur jedem ans Herz legen, der an Musikkreation interessiert ist, insbesondere natürlich wer dann auch noch auf Synthie-Sounds steht. Der eine oder andere Musikschaffende könnte in FRACT OSC womöglich sogar ein neues Tool sehen, wo er oder sie es vorher nicht vermutet hätte: In einem Videospiel. Ganz explizit möchte ich FRACT OSC aber Leuten empfehlen, die beim ersten Absatz dieses Artikels, in dem es um das Ausprobieren eines neuen Instruments ging, schon leicht feuchte Mundwinkel bekommen haben – die dieses Gefühl des Herumfrickelns und Nachlesens und Scheiterns und trotzdem Weiterversuchens und schließlich Lernen, wie es funktioniert, kennen – denn nichts kommt so nah an DAS heran, wie FRACT OSC.

Fract OSC
Eine fantastische Entdeckerreise durch eine abstrakte Welt elektronischer Musik, die mit seinem audiovisuellem Art Design einen spannenden künstlerischen Ansatz verfolgt. Die wahre Kunst des Spiels ist aber, wie es einem Schritt für Schritt die Grundlagen von Elektro beibringt - und mit einem vollwertigem Synthesizer gleich das richtige Werkzeug zum Umsetzen dieser Lektionen mitbringt.


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