Der englische Begriff prank kann aus dem Englischen als Scherz, Streich, Farce oder Schabernack übersetzt werden. Alles Dinge, über die Menschen vor allem seit Anbeginn des Fernsehens mit schamvoller Schadenfreude aus sicherer Distanz lachen. Die Idee, einen Streich und die damit verbundene Reaktion des Opfers auf Video festzuhalten, ist beinahe so alt wie die Technik selbst und formwandelt über die Jahrzehnte hinweg durch Tausende von Varianten. Es liegt also nahe auf der Gamescom derartige Videos zu filmen und die Reaktionen in einem gewinnbringenden Video zusammenzuschneiden. Das dachte sich jedenfalls das Team von NosTeraFuTV, die statt journalistischer Arbeit den billigen Schabernack bevorzugten, sich in Kostüme zwängten und Besucher belästigten. Bei einem einfachen Streich sollte es allerdings nicht bleiben: Das Video sorgt für Entrüstung, wütende Reaktionen und eine große Debatte. Einen ganz ausgezeichneten Artikel findet ihr drüben bei meinen Kollegen von Superlevel.de, wo Johannes Köller eingehend erklärt, weshalb dieses Video problematisch ist. Intern haben wir vorab über das Thema gesprochen und sind noch auf ein paar andere Aspekte gekommen, die ich ergänzend zum Superlevel-Artikel hier anbringen möchte. Rückendeckung sozusagen.

Noch einmal in Kurzform: Was geschieht in diesem Video? Der Moderator spricht fremde Mädchen an und macht ihnen offene Angebote für Sex, überrumpelt sie mit direkten Fragen zu ihrer Vagina und drückt ihnen sowohl das Mikrofon, als auch einen naturecht nachempfundenen Dildo an den Mund. Darüber hinaus begrabscht er Menschen unter dem Vorwand, er würde unter einer selbstgebastelten Oculus Rift-Brille nichts sehen und zieht sich ein Pädobär-Kostüm an, um so zu tun, als würde er seine Genitalien an Kindern reiben. Es gibt auch potentiell witzige Auftritte eines Jokers aus Batman, der Besucher mit Konfetti bewirft und weitere Gags am Rande, aber selbst bei denen gibt es körperliche Übergriffe im Video. Ein Trauerspiel, das innerhalb von Sekunden durch einen Vorspann, in denen der Moderator kundgibt jetzt „die Bitches klar machen zu wollen“, massiv sexistische Züge annimmt und sich bis zur letzten Sekunde fortführt. Sämtliche Sprüche haben einen mehr oder weniger offensichtlichen Gaming-Bezug, was die Angelegenheit anscheinend bagatellisieren soll.

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Was mich bei der Betrachtung des Videos, von großer Wut einmal abgesehen, nicht losgelassen hat, ist der Gedanke an den Entstehungsprozess. Man kann in zwei Richtungen mutmaßen: Zu sehen sind entweder nur die Highlights oder die „vertretbaren“ Highlights. Man kann nicht nachvollziehen, ob es schlimmere Reaktionen oder Anmachsprüche gab als die, die wir im Video zu sehen bekommen, aber wir können davon ausgehen, dass dies nur ein Bruchteil der Aktion war, welche sich über den gesamten Tag verteilte. Der ganze Aufbau erinnert sogar an ein altes, trauriges Klischee: Eine Gruppe junger Männer trifft Vorbereitungen und heizt sich schon während der Fahrt auf, um auf einem „Jagdgebiet“, auf dem sie Narrenfreiheit genießen, das „Freiwild“ zu fangen. Der Kernaspekt einer Spielemesse geht da selbstredend völlig unter, im Vordergrund steht lediglich die viel diskutierte Aktion, aus dem die Produzenten und der Moderator natürlich auch keinen Heel machen.

Ich will ein paar Bitches klar machen!

Die Fahrt und der Aufenthalt auf der Gamescom sind also triebgeladen. Die Jungs können und wollen auf der Messe einfach mal „Dampf ablassen“. Das Muster ist übertragbar auf einen Großteil jugendlicher Eskalationen; etwa Schlägereien, Überfälle oder ähnliches. Es werden viele Sätze auf der Fahrt gefallen sein, die mit „Weisst Du, was total geil wäre …“ begonnen haben, bis sich die Prozedur auf der Gamescom verselbstständigt hat. Schließlich braucht man für so eine Aktion ja auch Mut, den man sich entweder antrinken oder durch gegenseitige Vertrauensversprechungen innerhalb einer Gruppe erarbeiten kann. NosTeraFuTV hat schon einige Videos produziert und werden daher ein eingearbeitetes Team sein. Die an MEGA64 erinnernden Pranks der Vorgängersketches sind aber kein Vergleich zu diesem hier. Zur Rechtfertigung und Durchführung solcher Geschmacklosigkeiten bedurfte es also nicht nur einem medienwirksamen und offiziellen GIGA-Windschutz fürs Mikrofon, sondern auch Überwindung und Mut, die nur durch Gruppenzusammenhalt, und – wenn man den Footage im Vor- und Abspann glauben darf, gegenseitigem Aufheizen zu bewältigen ist.

Nicht zu vergessen ist auch, dass sich das Fehlverhalten im Laufe des Tages sehr wahrscheinlich steigert, d.h. der Mut größer und die Belästigung aggressiver wird. Wir sehen nur wenige Minuten davon. Malt Euch aus, wie der gesamte Tag ausgesehen haben muss. Bei vielen Szenen wurde bereits geschnitten, bevor die volle Reaktion der Opfer gezeigt wurde.

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Ich finde den Aspekt insofern wichtig, da auch Vergewaltigungen, die durch eine Gruppe von Männern durchgeführt werden, von diesem Verhaltensmuster geprägt sind. Die Gruppe hält zusammen, stärkt sich gegenseitig, baut eine eigene Definition für Moral auf und der Einzelne muss sich nicht allein für die Tat verantworten, weil ja alle mitgemacht haben. Wenn der Moderator also einer Fremden einen Dildo an den Mund hält, hat der Kameramann sozusagen ja mitgemacht. „Ich war´s doch nicht allein“ heisst es dann später. Auch die Fehlinterpretation der Abwehrreaktionen fallen in dieses Register: Die Mädchen sind verdutzt, machen eine lange Pause bevor sie antworten und legen ein gequältes Lächeln auf, in der Hoffnung, der penetrante Moderator verliert das Interesse. All dies geschieht, während die Kamera vor allem die knapper bekleideten Cosplayerinnen abfährt, bevor das Gesicht in den Fokus kommt. Sogar im Abspann wird laufend auf den Ausschnitt der Damen gezoomt.

Selbstredend ist das Pranking-Video von NosTeraFuTV keine Vergewaltigung im eigentlichen Sinne, aber die stark anzunehmenden Verhaltensmuster und die zu sehenden Reaktionen rufen vehement Erinnerungen an solche Fälle wach. Nach Augenzeugenberichten heisst es oft, dass „es einfach passiert ist“. Man habe „nicht darüber nachgedacht“. Aus Spaß wird schnell ernst. Bei Videos wie diesen, in denen Mädchen auf öffentlichem Gelände ganz offensichtlich als Freiwild, als jederzeit verfügbare Objekte dargestellt werden, muss NosTeraFuTV sich dem Vorwurf dieses Beigeschmacks wohl übel gefallen lassen. Vor allem auch wegen des Einstiegsatzes:

Ich laufe schon seit 3 Tagen mit einem steifen Penis über die Messe und weiß nicht, was ich damit anfangen soll.

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Pikant wird es aber vor allen Dingen, wenn man die medienrechtlichen Aspekte betrachtet. Es ist schwer vorstellbar, dass alle Personen mit der Verwertung ihres Materials einverstanden sind. Stichwort Recht am eigenen Bild. Erst mit dem Einverständnis der gefilmten Person, welche eindeutig zentraler Gegenstand der Szene sein muss, kann das Material verwendet werden. Bei minderjährigen Personen ist die Zustimmung der Erziehungsberechtigten erforderlich. Die Länge des Auftritts oder ein Kostüm spielt dabei keine Rolle. Eine mündliche Absprache ist bei volljährigen Personen ausreichend. Sonderregelungen gelten für Personen des öffentlichen Lebens, die in diesem Fall mit Ausnahme von Jessica Nigri nicht vorliegen.

Fernsehredakteure oder Online-Reporter lassen sich daher meist eine kurze Bestätigung auf Video aufnehmen, gehen also selbst nach einem Scherz noch einmal zur entsprechenden Person und klären diese auf. Etwas seltener, aber auch möglich ist eine Unterschrift auf einem vorgefertigtem Formular. Geschieht beides nicht, hat die gefilmte Person die Möglichkeit die weitere Verbreitung des Beitrages, als auch die weitere Verwertung des Materials rechtlich zu unterbinden. Verwenden dürfte der Redakteur in diesem Fall dann lediglich ein Bild, wo die Gesichter unkenntlich gemacht und der Originalton verfremdet oder ersetzt worden ist. Die Anmerkung „Nachgesprochen aus dem Gedächtnisprotokoll“ ist dabei im letzterem Fall zwingend.

Ein Foreneintrag bei KleiderKreisel lässt vermuten, dass die rechtliche Absicherung nicht bei allen Personen erfolgt ist. Viel mehr wiegt aber der Umstand, dass auch zahlreiche minderjährige Personen gefilmt worden sind, was relativ einfach an den farbigen Armbändchen zu erkennen ist. Grün steht für USK 12, Blau für USK 16 und Rot für USK 18. Hier einige Bilder aus dem Video, die dies belegen. Die Gesichter habe ich zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte unkenntlich gemacht.

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Was geschieht hier? Der Pädobär tut so, als würde er seinen Penis an einen höchstens 15-jährigen Jungen reiben. Der Moderator fragt eine höchstens 17-jährige, ob sie seinen mächtigen Penis erkennen kann. Die Kamera fährt eine minderjährige Cosplayerin ab, während der Moderator sie fragt, ob sie sich vorstellen kann wie sein Sperma aus ihrer Vagina tropft. Der Übergriff in persönliche Räume, die unter dem Deckmantel eines schlechten Scherzes ausgeführte sexuelle Belästigung findet hier also auch an Minderjährigen statt. Und das Material wurde verwendet, ohne die Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, gar um Erlaubnis zu fragen. Wenn wir uns alle an dieser Stelle einmal bitte vorstellen würden, wie unsere eigene, noch nicht erwachsene Tochter im Video auftauchen und begrabscht oder mit einem Dildo belästigt werden würde, dann wird die Tragweite auch auf emotionaler Ebene hoffentlich bewusst. Dass die Cosplayerin Jessica Nigri gegen ihren Willen auf der Bühne geküsst wird und der Joker die Köpfe von Besuchern in die Hand nimmt, um für ein gezwungenes Grinsen ihre Lippen hoch zu ziehen, sind da beinahe nur unglückliche Randerscheinungen.

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Schlussendlich irritiert mich am meisten, wie während des Schnitts nicht Zweifel aufkommen konnten. Filmmaterialien werden für die effiziente Arbeit normalerweise sorgfältig sortiert, mehrfach gesichtet und während der Montage szenenweise analysiert. Viel handwerkliche Feinarbeit steckt im dem Prank-Video sicherlich nicht drin, was offensichtlich dem Veröffentlichungsdruck nach der Messe geschuldet ist, aber selbst in der Endabnahme hätte sie es geben müssen: Berechtigte Zweifel. Vor allem unter dem Gesichtspunkt des momentan überall in der Branche debattierten Sexismus in Spielen müsste doch zumindest beim letztem Idioten eine gewisse Sensibilisierung vorhanden sein, die auf die Grenzüberschreitung hinweist. Stattdessen wird das Video trotz mehrerer Sichtkontrollen durchgewunken. Nachträglich heißt es in einer Stellungnahme von GIGA etwa von dem Redakteur David, man „hätte es ja so nicht kommen sehen“, Cosplayer bzw. „Booth-Babes seien ja“ wegen ihrer knappen Kostüme selbst schuld und  „haben es sich selbst ausgesucht“. Überhaupt ist das ja mit dem Messe-Hostessen so „wie mit den Prostituierten“. Sie müssen ja damit rechnen offen begafft und allein als begehrenswertes Sexobjekt betrachtet zu werden. Aha. Der Podcast zeigt: Von David wird hier geringfügig bis kaum differenziert. Nach eigenen Abschätzungen unterwürfige Berufe und Rollenbilder werden gegenseitigem Respekt vorangestellt; Sexismus heruntergespielt; Rettungsanker bei Spielen gesucht, die offen Sexismus zeigen (etwa Lollipop Chainsaw, „der Robin mag das doch auch„). Es ist ein trauriges Hörspiel, welches zumindest in Teilen das Besorgnis erregende Weltbild der GIGA-Redaktion belegt. Schon der Gedanke, dass aufreizende Kleidung als Rechtfertigung für sexistisches Verhalten und Übergriffe herhalten muss, lässt mir die Galle hochkommen. Immerhin sind auch Standpunkte von anderen Personen, wie etwa Tobi zu hören, die die Problematik erkennen und zur Diskussion stellen.

Dabei schwingt eine Angst vor Verboten mit, als würde man dem Herrn etwas wegnehmen wollen. Doch: Niemand verbietet sexy Kleidung und schöne Frauen. Der Gentleman schweigt und genießt. Ein echter Gentleman respektiert allerdings vor allem auch seine Mitmenschen, egal woher sie kommen und wie sie aussehen. Ein Verhalten, das NosTeraFuTV offenbar nicht inne hat.

Hinweis: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos und der Erstellung des Screenshots stand das Video unter der Creative Commons-CC-BY-Lizenz.