Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu den Spielen von Nintendo. Es gibt Welten von Ihnen, in denen ich mich gerne verloren habe, zum Beispiel Metroid oder Zelda. Dann gibt es allerdings auch Spiele, die mir wegen ihrer Niedlichkeit und überschwänglichen Fröhlichkeit fürchterlich schnell auf den Keks gingen: Bei jedem neuem Super Mario-Spiel muss ich eine Nervenprobe über mich ergehen lassen und nur ein Teil der Titel mit dem ach-so-lustigen kleinem Klempner erweisen sich dann als erträglich für mich. Schlimm war es mit dem Wii-Ableger der Mario Kart-Reihe: Die Kakophonie aus Juchu– und Yeah!-Schreien war mir nach wenigen Minuten zuviel – und ich habe das eigentlich tolle Spiel erst einmal in den Tiefen des Regals vergraben, um es nur für Multiplayer-Sessions mit Freunden hervorzuholen.

Erstaunlich ist dabei aber, dass ausgerechnet die kleinen Pikmin trotz ihres fast penetranten Knuddelfaktors in mein Herz geschafft haben. Meine erste Begegnung mit den kleinen, außerirdischen Pflanzenwesen war damals auf dem Gamecube. In ihrem ersten Spiel, dass sich selbst für Nintendo´s Verhältnisse frisch und innovativ anfühlte, stürzt der Astronaut Olimar auf einem fremden Planeten ab und versucht sein Raumschiff zu reparieren. Recht schnell entdeckt er die Pikmin, lustige, kleine Wesen, die auf sein Kommando hören und ihm auf seiner Mission helfen. So freundlich die Pikmin auch sind, so hilflos sind sie aber auch, wenn ihnen keiner zur Seite steht: Bleibt einer im Kampf oder auf dem Weg zurück, fühlte ich mich immer etwas schlecht. Recht schnell habe ich Verantwortungsgefühl für die kleinen Viecher entwickelt und ging besonders behutsam mit ihnen um.

Erinnerungen an die Kindheit

Aber vermutlich gibt es für mich auch einen anderen Grund: Als Kind habe ich gerne mit LEGO-Figuren im Garten gespielt. Ich hatte mir mit meinem Bruder aus diversen Science-Fiction-Sets Raumschiffe gebaut und zusammen stellten wir uns vor mit bestimmten Charakteren, die wir aus ganz besonderen Lego-Gesichtern und -Anzügen zusammensetzten, auf Expeditionen zu gehen und aufregende Abenteuer zu erleben. Unsere Heimatbasen standen natürlich in unseren Kinderzimmern; der Gang die Treppe hinunter durch die Haustür hinaus war allerdings schon der erste Flug durchs Wurmloch. Inspiriert durch Star Trek-Folgen aus dem Fernsehen inszenierten wir Konfrontationen mit Aliens, Erkundungen durch dichtes Geäst und – ja – auch Notlandungen. Olimars Situation erinnerte mich an diese Zeit. Es scheint, als wäre der Astronaut besonders klein, oder er ist im Land der Riesen gelandet. Während die Riesenkäfer bzw. aus seiner Sicht großen Monster ganz klar nicht terrestrischer Natur waren, erinnerten viele Gegenstände an die Erde: Dosen, Mobiltelefone, Pappkartons. Fast schien es, als wäre Olimar in von Menschen vergessenen Vorgärten gelandet, was die Welt herrlich bizarr und doch etwas vertraut machte. Für mich persönlich ein großer Sympathiepunkt, der ganz nostalgischen Hintergrund hat.

Die beiden Pikmin-Spiele auf dem Gamecube sind mir deshalb sehr positiv in Erinnerung geblieben: Die etwas eigenwillige Mischung aus Echtzeitstrategie- und Actionspiel stellte mir nicht Einheiten zur Seite, die eigentlich nicht mehr als eine reine Statistik waren, sondern kleine Wesen, die Empathie geweckt haben. Wer genug davon hatte in zahlreichen RTS-Titeln einen bedeutungslosen Infanteristen nach dem nächsten ins Kreuzfeuer zu senden, fand mit Pikmin eine radikale, aber herzerwärmende Erlösung.

Leider endete damit vorerst mein Verhältnis zu den Pikmin. Die Wii-Neuauflagen hatte ich nicht gespielt und fast hätte ich die  liebenswerten Viecher vergessen. Das Wiedersehen kam unerwartet: Ich kaufte mir eine Wii U und startete einen Datentransfer von der alten Wii, um die Spielstände rüberzuholen. Und ich traute meinen Augen kaum: Die kleinen Pikmin erschienen auf dem Bildschirm, schnappten sich meine Speicherblöcke und trugen sie durch eine abstrakte Datenwelt, nur um sie auf der Speicherfläche der Wii U abzulegen. Nintendo versüßte mit dieser Animation die Wartezeit während des Datentransfers. Eine schöne Idee, die für mich den Nebeneffekt hatte, dass ich mich wieder an die Pikmin erinnerte. Und Pikmin 3 vorbestellte.

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Alles beim Alten?

Der dritte Teil nimmt einige subtile Änderungen am Spielprinzip vor, obwohl sich am eigentlichen Rahmen nicht viel verändert hat. Nach wie vor strandet man auf einem fremden Planeten, auf dem die Pikmin zuhause sind und muss versuchen, von dort wieder nach Hause zu kommen. Dazu wird ein wichtiges Raumschiffteil benötigt, was beim Absturz leider verloren gegangen ist und gesucht werden muss. Neu ist allerdings, dass der Spieler diesmal nicht einen einzelnen Astronauten, sondern drei steuert. Damit lassen sich drei Gruppen bilden, denen sich jeweils beliebig viele und unterschiedliche Pikmin zuweisen lassen. Das ist nötig, um etwa zunächst unerreichbare Gebiete zu erschießen. Die drei Astronauten können sich gegenseitig auf entfernt gelegene Plattformen werfen – zum Beispiel über einen kleinen Fluss drüber – und von dort aus Brücken bauen, Türen öffnen oder ähnliches. Neu hinzugekommen sind zudem Pikmin mit einem Körper aus Stein. Mit ihnen lassen sich beispielsweise Glaswände zerstören oder Gegner mit kristallartigem Körper verletzen.

Neu sind ebenfalls das Prinzip des Zeitlimits und das Ressourcenmanagement , welche unmittelbar miteinander verknüpft sind: Jeder Astronaut benötigt am Ende des Tages eine Flasche Saft als Nahrung, die aus Früchten gewonnen werden kann, die man unterwegs ernten kann. Geht diese Nahrung zuneige, ist das Spiel vorbei. Gestrichen wurde hingegen das knallharte Zeitlimit des ersten Teils, wo man das Spiel innerhalb einer fest vorgegebenen Zeit lösen musste (wer dieses übertrat, hatte mehrere Spielabende quasi umsonst bestritten). Stattdessen gibt es hier die Tageszeit als Limit: Bis zum Sonnenuntergang hat man die Chance einen Level zu schaffen, da ansonsten die nachtaktiven Monster hervorkommen und die Astronauten mitsamt Pikmin-Zwiebel (deren Basis sozusagen) in die nächstgelegene Umlaufbahn flüchten müssen. Fies ist, dass man bis dahin alle Pikmin aufgesammelt oder zumindest in die Basis zurückgebracht haben sollte: Auf dem Weg verloren gegangene Helfer werden gefressen und sind für immer verloren. So muss man ständig abwägen, ob man jetzt noch schnell in unbekannte Gebiete vordringt und dabei möglicherweise ein paar Pikmin verliert, oder doch lieber flüchtet, dabei aber wieder etwas von seinen Vorräten verliert. Während das Zeitlimit im ersten Spiel stark kritisiert wurde und das fehlen desselben im Sequel das Spiel zu einfach machte, wurde mit dem dritten Teil endlich die goldene Waage gefunden. Man kann das Tempo zum Teil selbst bestimmen, hat aber trotzdem ständig etwas Druck im Nacken.

untersteuert-übersteuert

An der Formel der Serie wurde aber ansonsten überraschend wenig getan: Nach wie vor spielt sich der Titel wie ein einfach verständliches und sehr zugängliches Echtzeitstrategiespiel, bei dem die Gefechte mit Gegnern eine leichte Actionkomponente beherbergen, da man nicht nur sich selbst als Astronaut ständig in Sicherheit bringen muss, sondern auch das Kommandieren der Pikmin in diesen Situationen auf positive Art etwas hektisch wird. Von den Pikmin gibt es unterschiedliche Sorten mit unterschiedlichen Fähigkeiten: Die einen können schwimmen, die anderen überleben Elektrizität, usw. Man wägt ständig ab, wie viele von den kleinen Dingern man aus den Augen lassen und somit riskieren möchte. Lässt man ein paar Pikmin allein, während sie Samen ernten, und geht zeitsparend schon einmal in andere Gebiete? Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie sehr dieses Verantwortungsgefühl dieses Spiel definiert.

Auch Bosskämpfe gibt es zu bestreiten, bei denen leider die Kamera etwas versagt: Während das eigentliche Spiel wunderbar übersichtlich vonstatten geht, behält man bei den Endgegnern leider nicht immer die Übersicht. Das ist alles schaffbar, aber trotzdem mitunter etwas frustrierend. Unverständlich ist auch, weshalb  Nintendo nicht auf eine reine Touch-Steuerung mit dem Wii U-Pad gesetzt hat. Sämtliche Fadenkreuze und Wirkungskreise, also quasi das, was man am PC mit der Maus bedienen würde, steuert man hier mit den Analogsticks. Auch das ist nach einer Eingewöhnungszeit machbar, aber fühlt sich nicht so präzise und intuitiv an wie eine Berührung auf dem Bildschirm oder gar die optionale Steuerung über Wiimote und Nunchuck, die durch die New Play Control-Neuauflagen der Vorgänger etabliert wurde. Zumindest wird das Pad für witzige Einblendungen in der (für Nintendo typisch dünnen) Geschichte genutzt und dient als Karte, was bei den teils großen Gebieten ein Segen ist. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass die Steuerung nicht ganz optimal gelöst worden ist.

am Ende siegt der Flair

Aber diese Kritikpunkte sind zumindest für mich vergessen, wenn ich durch die Landschaften streife und für Stück erobere und erforsche. Wie eingangs erwähnt sind es nicht nur die zahlreichen Pikmin, sondern auch diese merkwürdige, außerirdische Vorgarten-Welt. Offensichtlich appelliert der Designer Shigeru Miyamoto da an unsere Kindheit und hat vielleicht eine Gemeinsamkeit zwischen uns allen gefunden, die wir  nicht vermutet hätten. Aus Kinderaugen kann eine einfache Wiese ein ganzes Universum sein. Ein klein wenig erinnert uns Pikmin 3 somit an Dinge, die wir als Erwachsene leider längst vergessen haben.

blink

Pikmin 3
Pikmin ist eine der wenigen Serien von Nintendo, die mir sehr gefallen und auch der dritte Teil hat mir sehr viel Freude bereitet. Wo andere RTS-Spiele mit Panzern und ähnlichen Gedöns anonym und distanziert bleiben, baut Pikmin durch seine kleinen Kreaturen eine Beziehung zum Spieler auf. Die darauf folgende Verantwortung, die ich für sie empfinde, ist ein feinder und doch großer Unterschied zu Abertausenden von anderen Strategiespielen.


8Gesamtwertung