Kürzlich, als sich Micha und Michi über MSN unterhielten und das Stichwort „Kälte“ durch 52Games in den Raum geworfen wurde …


Ich bin vorhin ein wenig über mein Spieleregal gegangen und habe dabei festgestellt, dass ich Spiele, die ich emotional irgendwie berührend fand, beinahe an zwei Händen abzählen kann. Du weisst ja wie viel ich da stehen habe. Das ist eigentlich eine erschreckende Bilanz.




Emotional berührend? Was heisst das für dich? Zählen Wut über die Gegnerhorden und der süße Triumph am Checkpoint nicht?


Nein, ich meine nicht die Gefühle dieser Art, die nur das Spiel an sich betreffen, sondern Emotionen bezogen auf Dramaturgie und Figurenkonstellation.

Es gibt selbstverständlich die berühmten Beispiele, in denen das ganz hervorragend gelungen ist. ICO, Okami, Silent Hill. Aber es sind die immergleichen Beispiele, die genannt werden. Die letzten Spiele, die mich emotional richtig mitgenommen haben, waren Catherine und Limbo. Ansonsten habe ich eher den Eindruck, es herrscht eine emotionale Kälte in Videospielen, die offenbar auch niemanden richtig stört.


Mir ist noch nicht ganz klar, wie du diesen Begriff füllst – ab wann würdest du behaupten, dass dich ein Spiel emotional mitnimmt? Wodurch merkst du das?


Zum Beispiel indem (soziale) Abhängigkeiten erzeugt werden. Viele Spiele belassen es bei ganz einfachen Beziehungen. In Actionspielen laufen deine Kumpanen beispielsweise einfach mit und schießen ab und zu auch mal zwei Salven auf das Megamonster, aber von ein paar coolen Sprüchen abgesehen passiert da nicht viel. Kameradschaft kann man aber durchaus dramaturgisch und auch gameplaytechnisch inszenieren. Ein ständiges Geben und Nehmen. Und auch Mechaniken die zeigen: Wir kommen hier nur durch, wenn wir zusammen arbeiten. Spontan fällt mir da Brothers in Arms ein, wo das im Ansatz schon gelungen ist.


Es ist mir auch aufgefallen, dass viele Spiele anscheinend aufgehört haben zu versuchen, während des Gameplay irgendetwas anderes in meinem kopf zu erzeugen als Überraschung, Triumph und Schadenfreude – vielleicht noch einen Ticken Abscheu.

Die ganzen anderen Elemente sind in die Zwischensequenzen verpackt.

Wenn ich mich in die Rolle eines Spieledesigners versetze, eröffnet sich für mich irgendwann die Frage – wie baue ich denn andere Gefühle überhaupt in mein Spiel ein?

Soll ich dem Spieler Erfahrungspunkteboni geben, wenn er bevorzugt einen NPC heilt, in den sein Avatar verliebt sein soll. Baue ich spezielle Quests? Wie bringe ich den Spieler dazu, so zu fühlen, wie ich es will?

Was hat denn beispielsweise Brothers in Arms für dich richtig gemacht? Warum hat dieser Taktikshooter Gefühle erzeugen können, die ein Gears of War nicht erzeugen konnte?


Ich fand ganz gut, dass jede Figur einen eigenen Charakter hatte und ihre Funktion innerhalb eines Squad in das Gameplay mit eingeflossen sind. Da man sich quasi von Mauer zu Mauer oder auch von Graben zu Graben gekämpft hat, entsteht irgendwann das Gefühl von Zusammenhalt. Einfach mal nach vorne springen um Call of Duty-mäßig alles niederzumähen, während die KI-Kollegen Kuchen backen, passiert dort nicht.

Was die Einbindung von Gameplayelementen betrifft, die soziale Interaktion und Charakterisierung von Figuren fördert, sieht man ja auch immer wieder gute Ansätze, gerade bei kleineren Produktionen, die etwas mehr Risiken eingehen können.

Ein Beispiel, auch wenn das Spiel einen ganzen Satz von Problemen und wohl keine Qualitätssicherung genossen hat, war zum Beispiel das jüngst erschienene Amy: In diesem Survival Horror-Spiel musstest Du auf ein kleines autistisches Mädchen aufpassen und konntest sie so an die Hand nehmen, ähnlich wie man es bei ICO macht. Das interessante daran ist: Da die Umgebung versucht ist, verwandelst Du dich langsam in einen Zombie. Amy hat aber heilende Fähigkeiten und solange Du sie an der Hand hast oder dich zumindest in ihrer Nähe befindest, regenerierst Du dich. Das wird spannend, wenn man zwecks eines Rätsels Amy in einem Schrank verstecken muss, um alleine loszuziehen, weil Dir dann die Zeit davonläuft.

Schade, dass dieses Spiel so viele andere Probleme hat, denn diese Komponente gefiel mir sehr gut. In Kombination mit Stealth, Survival Horror und einer Geschichte, die keine Superhelden wie in Resident Evil etabliert, fand ich das ziemlich cool.

Ich glaube aber, dass emotionale Kälte in Spielen auch oft durch die technischen Limitierungen bedingt sind. Damit meine ich nicht einmal den Uncanny Valley, denn viele Titel kommen ja nicht einmal dort hin.


Würdest du sagen, damit eine emotionale Bindung zu deinen digitalen Weggefährten entstehen kann, muss es sowas wie ein Gefühl der Abhängigkeit geben? Dass diese Figuren für etwas gut sind?


Wenn die Figuren Arschgeigen sind natürlich nicht. XD

Aber Charaktere, die Schutz brauchen, dir aber trotzdem helfen, finde ich keinen schlechten Ansatz.


Im Hinterkopf habe ich hier vor allem das vielgehasste Thema der Eskortmissionen, die haben meist genau den anderen Effekt.

Dumme KI-gesteuerte NPC, die an jeder Ecke hängenbleiben und mit Vorliebe Monsterklauen und Kugelhagel auf sich konzentrieren. Ist dieses Experiment nicht längst gescheitert?


Ich weiss, es wird tausendmal genannt, aber: ICO ist das beste Beispiel, dass es funktioniert, wenn man diese Spielmechaniken gut aufbaut und integriert. Das gesamte Spiel ist im Grunde eine Eskortmission.

Das totale Anti-Beispiel wäre jetzt NeverDead. Das Spiel hat weder interessante Figuren, noch gute Spielmechaniken. Und die Eskort-Einlagen sind komplett zum Kotzen.

Also mal ehrlich: Spiele entwickeln sind ständig weiter, vor allem technisch. Der Sprung von Spielen, die vor 10 Jahren rausgekommen sind, ist meiner Meinung nach ziemlich groß – auch wenn selbsternannte Veteranen jetzt im Dreieck springen ;)

Ich finde aber, dass sich trotz vorschreitender Technik dramaturgische Elemente nur rudimentär weiterentwickelt haben. Heavy Rain sollte ein interaktiver Film werden, wollte dich mitnehmen und so weiter. Rausgekommen ist eine nette Technikdemo mit schönem Flair. Aber die Figuren waren mir ziemlich egal eigentlich.


Da muss ich dir zustimmen. In den Zeiten, in denen mich Bots im Deathmatch plattmachen, sind Schützlinge, die nicht auf sich aufpassen können,  schwer nachzuvollziehen. ^^

Aber… aber… Figuren, die so toll ein Ei braten können, muss man doch lieb haben …


Hö?

Ei braten?


Ich hab grob in Erinnerung, dass irgendwo in Heavy Rain Rührei gemacht wird. ^^


Achso, stimmt :D

Ein älterer Mann brät ein Ei für eine junge Prostituierte.

Das klingt jetzt irgendwie schmutzig O_O


Nein, eigentlich klingt es nach einem „Save the Cat“ Moment, der bewirken soll, das Sympathie entstehen soll.

Zwischen dem Charakter und dem Spieler.


Ja, stimmt. Du hast recht. In Heavy Rain gibt es sehr viele solcher Momente. Prinzipiell eine gute Idee, an diesem Konzept sich zu orientieren, aber bei dem Spiel war ohnehin das Problem, dass es einfach zu dick aufgetragen hat.

In allen Bereichen.

Du rettest also nicht nur die Katze. Du rettest eine Horde kleiner Katzenbabys ;) An der emotionalen Schweeere jetzt mal gemessen.


Alle 10 Minuten ist wieder eine Katze im Baum zum retten. ^^

So, kommen wir aber mal zurück zu etwas klassischeren Spielen.

Für mich gibt es Spiele, die sind einfach was für Einzelkämpfer. HALO beispielsweise, die squadbasierten Teile waren nie wirklich was für mich.

Ein namenloser Held hat keinen sozialen Zirkel, maximal eine Befehlskette.

Dann gibt es die persönlichen Geschichten, und dort suche ich dann auch wieder die großen Gefühle.

Ein Duo beispielsweise, das geht eigentlicher immer. ich lehne mich immer wieder verwundert zurück, wenn ein Titel Duos verhaut.


Der einzige Grund für viele Entwickler überhaupt Duos zu verwenden ist der Einbau eines Coop-Modus. Mir fallen da auch nur Gangster-Buddys wie die Typen aus Army of Two oder Kane & Lynch ein. Letztere haben richtig Potential, aber so richtig was rausgeholt wurde da nicht.


Sind denn Gefühle in einem Shooter nicht überhaupt im Weg? Was zählt im Dauerfeuer denn noch, ausser Überleben?


Brothers in Arms *hust*


XD


Also ich möchte nicht falsch verstanden werden. Spiele, die auf Gefühle scheißen und nur sadistischen Spaß im Sinn haben, will ich gar nicht wegdenken. Serious Sam, Bulletstorm, voll ok.

Aber vielleicht ist das Problem, dass einfach viel zu viele Spieler mit dem schon zufrieden sind. Sie schreien nicht nach mehr. Nicht nach mehr von dem, was man in Uncharted beispielsweise gesehen hat. Zufrieden sind – wenn man sich die Verkaufszahlen ansieht – die allermeisten mit COD & Co. Anonyme Stimmen aus dem Off, die irgendwas nuscheln inklusive schwachsinniger Geschichten und gescripteten Ereignissen, in denen Interaktionen vorgegaukelt werden.


Ein Arbeitskollege von mir drückt die Zwischensequenzen von Uncharted beispielsweise weg, weil er sich aufs Spiel konzentrieren möchte. Was könnte man denn für ihn tun?


LOL


Dieser Kollege ist übrigens Mitte 40, also bei Weitem kein Nachwuchsspieler, dem die emotionale Erfahrungsgrundlage für mehr fehlt.


Also wenn Spiele auf den kulturellen Level (ha!) von Büchern und Filmen kommen wollen, muss sich in diesem Punkt noch einiges tun.


Das berühmte Citizen Kane der Spielewelt oder wie?


Kann man fast so sagen ;)


Wie spielt denn für dich der Multiplayer da rein? Dort passieren im Teamplay mit Bekannten die großen Gefühle einfach so, ohne dass es der Designer darauf angelegt hat. Geschichten, die sich innerhalb des Sandkastens entwickelt haben. Laufen die ausser Konkurrenz?


Ich kategorisiere sie anders. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich mit meinen Freunden im Netzwerk Unreal Tournament gespielt habe. Es war ein großartiges Gefühl jemanden zu fraggen und dabei die Flagge zu klauen, während aus einem anderen Teil es Raums jemand echauffiert „Was? Neeeeein!“ ruft. Trotzdem ist UT keine dramaturgische Erfahrung für den Einzelnen. Ich spreche von Geschichten, die das prinzipiell spannende Medium erzählen könnte, die so vielleicht gar nicht in Büchern und Filmen möglich währen.

Schuld zum Beispiel. Spiele können Spieler mit Schuld beladen, wie es beispielsweise in Shadow of the Colossus der Fall war. Entwickler müssten sich bewusster machen, was mit dem Medium eigentlich noch möglich ist. Die einzigen, die das anscheinend momentan probieren, sind einige Indie-Entwickler, aber von den „großen“ traut sich da kaum jemand etwas.


Weil sich niemand mehr anmaßen möchte, dem Spieler etwas beibringen zu wollen, oder ein schlechtes Gewissen zu machen?


Vielleicht. Das ist nunmal eine unbequeme Erfahrung. Möglicherweise stehen Spiele noch zu sehr unter dem Credo der reinen Bespaßung ohne Meta-Ebene.

 

 
Weitere Wortmeldungen findet ihr unter 52 Games: Kälte bei Zockwork Orange.