Ich habe in The Last of Us fast jede Sekunde geliebt. Es war eine wundervolle Interpretation des Survival Horror-Genres mit einem bemerkenswertem Auge fürs Detail. Naughty Dog erzählte seine Geschichte nicht nur in den Zwischensequenzen, sondern auch mit jeder Gestaltungsentscheidung in den Umgebungen. Wann immer meine Taschenlampe über verlassene Lager zog, ich leere Familienhäuser betrat oder Panoramen von ausgestorbenen Städten betrachtete: In meinem Inneren konnte ich weit in der Ferne Schreie von verwirrten Seelen vernehmen, die in diesen Gegenden vor vielen Jahren ihr Leben gelassen hatten. Die stillen Momente, in denen die staubige Luft sich im Sonnenlicht erwärmte, waren die grausamsten.

Doch leider wird in dem Spiel auch mit Getöse und Gebrüll gekämpft, und das nicht zu knapp. Während ich die Auseinandersetzungen mit Infizierten jederzeit als passend und plausibel empfunden habe, hätten für meinen Geschmack deutlich weniger Konfrontationen mit Soldaten, Plünderern oder sonstigen Menschen der Dramaturgie gut getan. In der Neuinterpretation von Tomb Raider wurde der Begriff der ludonarrativen Dissonanz diskutiert, und auch The Last of Us muss sich den Vorwurf gefallen lassen, eine Schere zwischen Handlung und Spielablauf zu bilden. Gerade in der zweiten Hälfte bringt die Geschichte moralische Konflikte und Fragen zutage, die gegenüber der im Zuge des Actiongameplays durchgeführten Morde geradezu befremdlich wirken. An manchen Stellen haben Kämpfe gegen Menschen auch dramaturgisch Sinn gemacht, doch überwiegend wirkten sie wie überflüssiges Füllmaterial.

Der DLC Left Behind ändert dies. Und zwar massiv.

Die zusätzliche Episode erzählt weiteres über die Hintergrundgeschichte von Ellie. Dabei springt die Handlung in Parallelmontagen zwischen die Lücke der beiden Kapitel „Herbst“ und „Winter“ und Ereignissen vor dem Hauptspiel, bevor das Mädchen auf Joel trifft, hin und her. Diese Zeiträume wurden bisher nur angedeutet und ich nahm an, es wäre besser gewesen es dabei zu belassen. Zu groß ist die Gefahr in eine Falle zu tappen und die menschliche Vorstellungskraft gegen weniger aufregendes zu tauschen. Aber ich habe mich geirrt: Left Behind konzentriert sich sehr viel stärker auf Charakterentwicklung als das Hauptspiel – und beeindruckt auf dieser Ebene sogar ein ganzes Stück mehr.

Der Fokus geht weg von Kämpfen und hin zu Charakterentwicklung.

Verlassen und doch wunderschön. John Sweeney war Concept Artist von The Last of Us und Left Behind und hat wunderschöne Konzeptzeichnungen entworfen, die Naughty Dog akribisch in das Spiel übertragen hat

Verlassen und doch wunderschön. John Sweeney war Concept Artist von The Last of Us und Left Behind und hat wunderschöne Konzeptzeichnungen entworfen, die Naughty Dog akribisch in das Spiel übertragen hat.

Eines der wichtigsten Themen von The Last of Us war der Umgang nachfolgender Generationen mit der Welt nach der Epidemie: Ellie wurde nach der Katastrophe geboren und viele Dinge, die ausgestorben und verwaist in den Ruinen liegen, sind ihr unbekannt. Ihr Verständnis für das, was einmal gewesen ist, kann sie nur in Gesprächen mit älteren Generationen gewinnen, die die Zivilisation noch miterlebt haben. Ellie stellt Joel im Hauptspiel daher viele Fragen. Wurde mit diesem Eiswagen dort tatsächlich Eis an Kinder verkauft? Hat Joel die Filme gesehen, die auf den Plakaten beworben werden? Wie hat es in der Hotellobby ausgesehen, als hier noch viele Menschen durchwuselten? Ellie kann sich das nur aus Erzählungen, Comics und Büchern zusammenreimen.

Left Behind greift diesen Aspekt verstärkt auf und lässt das Mädchen zusammen mit einer Freundin gleichen Alters mit leuchtenden Augen durch ein verlassenes Einkaufszentrum wandern. So verrottet die Läden auch sein mögen: Für die Kinder sind sie eine große Spielwiese, die ihnen die Quarantänezone nicht bieten kann. Gemeinsam machen wir uns mit ihnen auf eine kleine und doch große Entdeckerreise, probieren Masken im Halloween-Geschäft an, spielen Verstecken mit Wasserpistolen, werfen um die Wette Scheiben von ausgestellten PKWs ein und finden sogar den Generator, um ein Karussell, sowie einen Passfoto-Automaten wieder in Betrieb zu setzen.

tloulb_passfotoVordergründig wird ein Streit zwischen den Mädchen, der in die Handlung eingebunden ist und zu weiteren, bereits bekannten Ereignissen führt, behandelt. Wichtiger ist aber das, was wir über Ellie erfahren: Wie sie denkt, was sie fühlt, wovon sie träumt und wovor sie sie sich fürchtet. Ihre jugendliche Verletzbarkeit, die sie hinter gequältem Humor und einer trotzigen Attitüde verbirgt, wirkt dabei authentisch.

Die Parallelmontage macht dabei den Verlust ihrer kindlichen Unschuld deutlich. Während sie im warm beleuchtetem Einkaufszentrum mit Begeisterung die kleinen Wunder einer längst vergangenen Welt entdeckt, kämpft sie einige Monate später in einer eiskalten Umgebung um das nackte Überleben. Sie rennt, sie schreit, sie tötet. Ironischerweise ebenfalls in einer Einkaufsmeile.

„Irgendwann wird der Tag kommen, an dem werden Kinder wieder Kinder sein.“

Mechanisch bleibt Left Behind trotz der Fokusverlagerung seinem Hauptspiel treu, auch wenn ein paar kleinere, neue Aspekte hinzugekommen sind. Aber dies war neben der Präsentation nie ein Problem von The Last of Us. Auch der DLC beeindruckt in dieser Hinsicht auf allen Ebenen. Wichtiger ist jedoch, dass er zeigt, in welche Richtung sich Naughty Dog noch bewegen kann. Sie zeigen hier noch mehr Feingefühl für das Geschichtenerzählen und haben es in meinem Fall sogar geschafft mich zu Tränen zu rühren. Wann ist dies einem Actionspiel zum letzten Mal gelungen?

The Last of Us: Left Behind
Left Behind ist ein rares Exemplar eines tollen DLCs, der die inhaltlichen Stärken des Hauptspiels und deren Metaebene weiter ausbaut. In vielen Aspekten gefällt er mir sogar noch besser.

9Gesamtwertung