Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal Harvest Moon auf dem Super Nintendo gespielt habe, hat das Werk von Yasuhiro Wada meine Vorstellung von Rollenspielen gravierend verändert. Zuvor nahm ich an, ein RPG bestünde ausschließlich aus Fantasy-Welten mit Drachen, Zauberern, Prinzessinnen und Rittern. Mystic Quest schwirrte zu diesem Zeitpunkt noch durch meinem Kopf, welches eine epische Heldensage erzählte. Und dann saß ich plötzlich da, mit dem grauen Controller in der Hand, und kümmerte mich um meinen Hof, schloss Freundschaften in einem kleinen Dorf und machte mir Gedanken um meine Ernte. In anderen Rollenspielen lief ich mit stolz geschwellter Brust und blitzender Rüstung an Bauern vorbei. Sie waren nur NPCs, eine Randnotiz; vielleicht mal gut für einen schrulligen Spruch. In Harvest Moon war ich auf einmal dieser Niemand, und mit diesem Perspektivenwechsel begriff ich, dass auch der einfache Bauer wichtige Fragen in seinem Leben beantworten muss, die sogar grundlegend seine Existenz betreffen.

Im Wandel der Zeit
Damals war mir nicht wirklich klar, dass Harvest Moon seiner Zeit lange voraus war. Heute gibt es etliche Sandbox-Spiele, mit denen so mancher Millionen verdient hat, und auch die Landwirtschaft ist durch etliche Simulationen nichts neues mehr. Zahlreiche Sequels und Spin-Offs später wirken die Harvest Moon-Titel überholt, in ihren technischen Möglichkeiten beschränkt, ja, zum Großteil ebenso alt, wie damals auf dem Super Nintendo, auch wenn mittlerweile alles in 3D-Grafiken dargestellt wird.

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Das neue Spiel von Yasuhiro Wada trifft ein ähnliches Schicksal: Hometown Story wandelt die Kernidee ab und überträgt dem Spieler die Rolle einer jungen Person, die das Geschäft ihres Großvaters erbt. Das liegt mitten in einem kleinem Dorf, weit abgelegen auf dem Land, wo die Bewohner sich nach einer neuen Einfuhrquelle für Nahrungsmittel, Werkzeug oder Nichtigkeiten aus den Großstädten sehnen. Ich schickte mich also an, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Aber nach anfänglicher Begeisterung für diese Idee machte sich nach einigen Minuten Ernüchterung breit: Viel tun kann man nämlich nicht. Ich kann meine Spielfigur durch den Ort bewegen, mit andren Leuten sprechen oder eben Gegenstände auf Verkaufstische stellen, sie mit einem Preis versehen und … warten. Ja. Man wartet, bis jemand endlich in den Laden kommt, etwas in die Hand nimmt und damit zur Kasse geht. Und es wirkt dröge. Das Dorf ist leblos und kahl, die audiovisuelle Inszenierung auf negative Weise schlicht. Mir verging schnell die Lust am Spiel.

Es gibt allerdings einen Aspekt in der Harvest Moon-Serie, der seit vielen Jahren die treue Fangemeinde begeistert: Dieses spezielle, nostalgische Gefühl; schwer greifbar, irgendwie immer präsent, aber nicht zu penetrant und herzerwärmend warm. Wenn es auf die Suche nach einem Ehepartner geht, Alltagsprobleme von Nachbarn gelöst und im Pferdestall Geheimnisse ausgetauscht werden, wähnt man sich fast in einem Groschenroman. Aber einen, den man mit Wonne geniesst. Diese charmanten Eigenschaften hat auch Hometown Story und es ist spürbar, dass Yasuhiro Wada seine Kindheitserinnerungen in das Spiel hat einfließen lassen. Er ist selbst an einem vergleichbarem Ort aufgewachsen und die annähernd 100 Einwohner der Stadt haben kleine Geschichten auf Lager, bei denen durchaus vorstellbar ist, dass sie teils von den Erlebnissen Yasuhiros erzählen.

Wer schafft, hat keine Langeweile.
Doch auch wenn das Dorf sich im Laufe des Spiels mit Leben füllt, die Schlangen an den Kassen und die Questlogs länger werden: Das gesamte Spiel ist zu zäh, zu langatmig. Das gängigste Prinzip dabei: Bewohner betreten den Laden und fragen nach bestimmten Gütern. Diese erhält man von Reisenden. Aber sowohl auf die Bürger, als auch auf die Wanderer muss man ewig warten. Man kann auch andere Geschäftsleute nach Dienstleistungen fragen, etwa Gerichte in einem Restaurant, aber bis man diese Dinge erhalten hat, vergeht ebenso viel Zeit. Als Wirtschaftssimulation funktioniert das Spiel gleichfalls nicht, da sich alle in der Natur gefundenen, oder von Bäckern, Bauern, Fischern erhaltenen Waren für rund 20% bis 30% höher als den Einkaufspreis verkaufen lassen. Immer. Jederzeit. Das ändert sich nie, uns so grindet man sich sein Konto voll, während man ab und zu seinen Laden umdekoriert oder ziellos durch das Dorf läuft, in der Hoffnung, man möge über eine aufregende Aufgabe stolpern – von denen es über die Spielzeit verteilt leider viel zu wenige gibt.

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Hometown Story ist charmant und sympathisch, aber es hält nicht ausreichend bei der Stange. So ist es leider doch Opfer der Zeit geworden. Von der hatte ich als Kind reichlich, doch heute fehlt mir die Geduld für ein so langwieriges Unterfangen. Hometown Story ist keinesfalls ereignislos; zwischen den Figuren geschieht durchaus etwas. Doch in etlichen Agrarsimulationen und Sandbox-Spielen wurden die gesamten Mechaniken rund um die Selbstbeschäftigung entwickelt. Schade, dass die Hintergrundgeschichte des kleinen Ladens im Dorf mittlerweile nicht mehr ausreicht.

Hometown Story
Im Geiste ein Ableger von Harvest Moon trifft es eine nostalgische Ader, bei der auf kleine Geschichten des Lebens Wert gelegt wird. Leider versteht das Spiel es nicht diesen tollen Kern in einen motivierenden Gesamtablauf zu integrieren.
4Gesamtwertung