Im Nebel liegen dunkle Geheimnisse verborgen.
Normalerweise sollen Computerspiele dem Spieler Freude bereiten, ihn auf eine unterhaltsame Reise schicken und am Ende gewinnen lassen. Aber “Silent Hill 2” von KONAMI ist anders: Der Survival Horror-Titel ist eine Reise in die dunklen Abgründe der menschlichen Seele und selbst nach Abschluss des Spieles bleibt ein ungutes Gefühl.

Man schlüpft in die Rolle des Antihelden James Sunderland, der einen Brief von seiner Frau Mary bekommen hat, in der sie ihn bittet, sie an ihren “besonderen Plätzen” in der abgelegenen Kleinstadt Silent Hill zu treffen. Eigentlich hätte er sich über einen solchen Brief gefreut, allerdings ist sie vor etwa drei Jahren an einer Krankheit gestorben. Da aber Schrift und Wortwahl offensichtlich mit der von Mary übereinstimmen, begibt sich James dennoch mit einem leisen Funken Hoffnung nach Silent Hill.

Angst auf eine Antwort aus dem Nebel

Aber gleich zu Beginn wird klar, dass etwas mit der Stadt nicht stimmt. Unnatürlich dicke Nebelschwaden erschweren die Sicht, von den Bewohnern fehlt jede Spur. Manche Strassen brechen in einem tiefen Abgrund ab, fast alle Telefon- und Stromleitungen sind tot, aus dunklen Ecken dringen merkwürdige Geräusche. Schon bald trifft James auf undefinierbare Kreaturen, die den Vorstellungen von Clive Barker oder Hieronymus Bosch entsprungen sein könnten. Dass sie nicht besonders über den Besucher erfreut sind, machen sie mit diversen Angriffen schnell deutlich. Aber der Protagonist trifft auch auf andere, verwirrt wirkende Menschen, die aus irgendeinem Grund in diese Geisterstadt gekommen sind: Angela, die auf der Suche nach ihrer Mutter ist; Eddie, der panische Angst vor Verletzungen hat; das kleine Mädchen Laura, das aus dem Nichts auftaucht, tut, was es will und dann wieder verschwindet; und Maria, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit James` vermutlich verstorbener Gattin hat. Aber Gespräche mit ihnen geben nur wenig Information darüber, was in Silent Hill geschehen ist. Und was bereits für ein Computerspiel sehr ungewöhnlich ist: Der Spieler wird es nie erfahren, sondern nur kleine Hinweise finden, die auf die düstere Vergangenheit der Stadt hindeuten.

Stattdessen legten die Programmierer beim Erzählen das Hauptgewicht auf die Schicksale der Charaktere, die teils traurig, teils sehr schockierend sind. Es geht um Mord, Suizid, Inzest und geistigen Verfall – schwere Kost, die den Spieler die ganze Zeit grübeln lässt, auch lange nachdem er das Spielgerät ausgeschaltet hat. Mehr Konkretes über die Geschichte des Spieles zu schreiben, würde bedeuten den Überraschungs- und Spannungseffekt vorwegzunehmen. Aber auch ohne viel zu verraten, kann erwähnt werden, dass Geschichte und Darstellungsweise von “Silent Hill 2” weit über das übliche Niveau von üblichen Computerspielen liegen und teilweise sogar in eine methaphorische Ebene gehen. Einige Passagen erinnern an die Optik der Filme von David Lynch, andere wiederum an Kafkas Buch “Der Prozess”, jedoch darf der düstere, teilweise sogar surrealistische Stil des Spieles als etwas Eigenes bezeichnet werden.
Auch die Charaktere sind nicht wie übliche Spielehelden gezeichnet, sondern wirken verloren oder psychisch am Ende. Schatten unter ihren Augen zeugen von schlaflosen Nächten, Wutausbrüche oder Tränen sind Spuren ihrer schrecklichen Geheimnisse.

Das die Programmierer es nebenbei noch schaffen, die Urängste des Spielers zu wecken, ist ein Kunststück. Die im Genre üblichen Schockeffekte findet man in “Silent Hill 2” kaum, dafür entsteht aber der Horror im Kopf des Spielenden. Ständiger Nebel bzw. Dunkelheit tragen ebenso dazu bei wie Geräusche, deren Ursprünge nicht zu erkennen sind. Es tauchen Elemente auf, die mit Tod oder Sex assoziiert werden können, eine explizite Darstellung von Gewalt gibt es aber nicht. Auf welcher Ebene sich die Dramaturgie des Spieles bewegt, wird z.B. in einer Szene zu Anfang deutlich, in der der Spieler minutenlang durch den Wald und über eine Landstrasse auf die Stadt zuläuft, ohne dass etwas Wesentliches passiert. Das Gefühl, von etwas Bedrohlichem umgeben zu sein, bleibt während des gesamten Spieles erhalten, während die Phantasie des Spielers angeregt wird.

Ein Technikgewand zum Fürchten

Technisch gesehen macht das Spiel ebenso einen mehr als guten Eindruck. Die Grafik kann mit einer detaillierten und realistisch wirkenden Spielewelt aufwarten, deren düstere Farbwahl und Beleuchtung einen grossen Teil der dichten Atmosphäre ausmachen. Manche Umgebungen vermitteln ein besonderes Unbehagen durch die Darstellung von verrostetem Metall oder mit Blut und Dreck überzogenen Wänden und Böden, deren beklemmende Wirkung durch filmartige Perspektiven und Kamerafahrten zusätzlich verstärkt wird. Das geschickte Spiel mit Licht- und Schatteneffekten macht ebenfalls einen grossen Part des Gruselfaktors aus, besonders die Schatten, die durch die Taschenlampe von James erzeugt werden, sehen beeindruckend aus. Die weichen und nahezu lebensecht wirkenden Animationen der Figuren setzen noch das Sahnehäubtchen oben drauf. Das Erstaunen ist gross, wenn man erkennt, dass die Charaktere im Spiel über eine richtige Mimik verfügen, und der Ekel ist immens, wenn man sieht, welche abartigen, bizarren Bewegungen die Kreaturen machen.
Auch die Sounduntermalung kann sich hören lassen. Sie unterschreicht das Geschehen auf dem Bildschirm mit stellenweise bedrohlichen, stellenweise mit panisch wirkenden Industrialklängen. Ein kleines Taschenradio, das James zu Beginn des Spieles findet, warnt den Spieler mit einem immer lauter werdenden Rauschen vor der Gegenwart von gegnerischen Kreaturen, quasi wie ein Radar. In emotionalen Szenen aber tritt gefühlvolle Musik mit melancholischen Gitarrenklängen oder Klavierkompositionen in den Vordergrund.
Die Steuerung des Spieles beschränkt sich auf grundlegende Handlungsmöglichkeiten der Spielfigur wie Laufen, Untersuchen, Betätigen und Kämpfen und geht nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gut von der Hand. Kämpferische Ausernandersetzungen mit Kreaturen mittels Schuss- und Hiebwaffen bleiben optional und sind in manchen Situationen sogar nicht empfehlenswert. Das Lösen von Rätseln ist dagegen unumgänglich, da deren erfolgreiches Absolvieren Schlüssel für wichtige Räume oder ähnliches freigibt. Dabei müssen Gedichte analysiert oder bestimmte Anordnungen von Symbolen genauer betrachtet werden.
Alternative Handlungsstränge und Abspänne sorgen dafür, dass der Spieler zum mehrmaligen Durchspielen motiviert wird und zudem noch weitere Details zu der komplexen Handlung erfahren kann.

“Silent Hill 2” ist ohne Zweifel ein Ausnahmetitel im Bereich der Spieleunterhaltung. Die Hauptbestandteile des Spieles sind tatsächlich seine erschütternde Geschichte und seine melancholische und zugleich alptraumhafte Atmosphäre. Lobenswert, dass die Programmierer (auch schon mit dem Prequel) den Schritt gewagt und ein Spiel programmiert haben, dass nicht den üblichen Konventionen entspricht und den Spieler sogar emotional tief berührt. Horrorfreunde werden das Spiel ohnehin mögen, Freunde intelligenter Unterhaltung auch, sofern sie den harten Horrortrip verkraften. [1]

  1. [1]Ja, dieser Artikel wurde von mir bereits auf www.frightening.de veröffentlicht, aber er gehört hier irgendwie hin.