Heavenly Sword ist im Grunde genommen kein sonderlich bemerkenswertes Spiel – zumindest, wenn man die Mechanismen betrachtet, die das Gameplay ausmachen. Es handelt sich um einen simplen Brawler mit einer überschaubaren Anzahl von Combos, minimalen Rätseln und einer sehr kurzen Spielzeit von nur wenigen Stunden. Oh, und es gibt das „Zing Zang“, kleine Abschnitte, in denen abgefeuerte Pfeile oder Kanonenkugeln mit Hilfe der Sixaxis-Steuerung auf ein gewünschtes Ziel manövriert werden. Kein Abschnitt wirkt überflüssig, manche Momente werden sogar im Gedächtnis haften bleiben, doch letztendlich bietet das reine Spiel zu wenig, um eine Empfehlung dafür aussprechen zu können. Wirklich interessant an Heavenly Sword sind tatsächlich zwei völlig andere Punkte: Das Art Design und das virtuelle Schauspiel.

Es besteht kein Zweifel daran, dass trotz des mageren Spielinhalts sehr viel Zeit und Mühe in das Projekt gesteckt wurde. Mit sehr viel Sorgfalt wurde eine asiatisch anmutende Fantasiewelt geschaffen, die aufgrund ihrer Detailverliebtheit eine enorme Überzeugungskraft hat. Die Konzentration lagt dabei weniger auf umfassende Geschichten und Legenden um die Welt herum; denn von derer gibt es nur eine, die die storytechnisch treibende Kraft ist. Vielmehr lag sie in den Dingen, die das Publikum auch jederzeit mit den Sinnen aufnehmen kann. Rüstungen, Kleidung, Waffen, Landschaften, Verzierungen, Dekorationen: All das wirkt wie aus einem Guss, stets auf einem gleich hohen, überzeugenden Niveau, so dass das Gesamtbild sehr homogen wirkt. Der orchestral eingespielte Soundtrack, der traditionell chinesische Instrumente mit westlichen Notenfolgen vermengt, fügt dem sozusagen die akustische Glasur hinzu.

Orientiert haben sich die kreativen Köpfe hinter dem Spiel an dem Wuxia[1]-Genre, genauer an deren Unterkategorie des Jiang Hu[2], in der Themen wie Rache und Gunst eine zentrale Rolle spielen. Nariko, die Hauptfigur des Spiels, gehört einem Clan an, der die Aufgabe hat das sog. „himmlische Schwert“ zu beschützen. Der Erzählung nach wurde das Schwert einst von einem Gott geführt und verleiht ihrem Träger unglaubliche Kräfte. Als Nariko`s Vater und viele andere aus dem Clan von einem Tyrann gefangen genommen und gefoltert werden, sieht Nariko sich gezwungen, das Schwert selbst zu führen. Leider ist damit auch ihr Tod besiegelt: Als Ausgleich für die geschenkte Kraft beansprucht das Schwert nach einer Zeit das Leben des Trägers für sich. Wissend, dass der Tod sie bald heimsuchen wird, kämpft sich Nariko – durch Rachelust nahezu in Rage geraten – zu dem Tyrannen vor.

„Every lifetime has one moment. You stand alone and you see it all so clearly.“

– Nariko


Zu sehen, wie seine Tochter das Schwert in die Hand genommen hat, schmerzt Nariko’s Vater weniger wegen seiner Sorge um sie, sondern weil sie seit ihrer Geburt von ihrem Clan als Fehler angesehen wird. Der Prophezeiung nach sollte nämlich ein Junge zur Welt kommen und das Land mit Hilfe des himmlischen Schwertes von dunklen Mächten befreien. So hat der Clan also von dem ersten Moment, an dem sie das Licht der Welt erblickt hat, die Hoffnung verloren und rechnet erst recht mit der Niederlage, als sie von Nariko`s Handlung aus Notwehr erfahren.

Heavenly Swords Art Design und Themen sind düster und machen keinen Heel um die dunklen inneren Konflikte, die die Protagonisten in sich tragen. Das Spiel sieht die meiste Zeit sehr ansprechend aus und schwankt u.a. mit seiner pastellen Farbgebung ständig zwischen Poesie und bitterböser Erzählung.

Heavenly Swords Art Design und Themen sind düster und machen keinen Heel um die dunklen inneren Konflikte, die die Protagonisten in sich tragen. Das Spiel sieht die meiste Zeit sehr ansprechend aus und schwankt u.a. mit seiner pastellen Farbgebung ständig zwischen Poesie und bitterböser Erzählung.

Tanz der Verzweiflung

Wie im Jiang-Hu üblich ist die Protagonistin also sehr um ihre Vertrauenswürdigkeit und ihr Ansehen besorgt und ist sogar bereit, für die Verteidigung dieser Werte viel Blut zu vergießen. Oder sogar ihr eigenes Leben zu opfern. Aber nicht nur die Handlung ist deutlich vom Genre des Wuxia inspiriert, sondern auch die Kampfkunst der Protagonistin. Agilität, Schnelligkeit und Anmut sind ohne weiteres vergleichbar mit den Film-Choreographien der grössten chinesischen Wuxia-Klassiker. Nariko agiert zwar stehts im Rahmen der natürlich gegebenen Winkelräume ihrer Waffen und Gelenke, erscheint dabei aber so federleicht und grazil, dass aus einem Kampf rasch ein wunderschöner, und doch tödlicher Tanz wird, der dem Begriff des zhāo [3] mühelos gerecht wird. Ihre extrem lange Haarpracht wirkt zudem wie das Band bei einer Tänzerin bei der rhythmischen Sportgymnastik und zeichnet die Bewegungen nach. Selbst das Fliegen oder Hochlaufen an Wänden, welches im Wuxia üblicherweise durch Qinggong[4] ermöglicht wird, kommt hier in begrenzter Form vor. Es fehlt zwar den Gegnern oftmals die Fähigkeit Nariko einigermaßen gleichwertig entgegenzutreten, um eine beeindruckende Gesamtchoreographie darzustellen, aber die Heldin dürfte nicht nur Freunden asiatischer Kampfkunst positiv in Erinnerung bleiben.

leere Hüllen

Ein besonderes Augenmerk wurde auf das Schauspiel der Charaktere gesetzt. Ähnlich wie bei den Animationsfilmen „Final Fantasy“ oder „Beowulf“ hat man die Bewegungen von Schauspielern via Motion Capturing erfasst und auf die Polygonfiguren übertragen. Das gilt auch für die Gesichter, welche durchaus sehr beeindruckend animiert sind. Es fällt nicht schwer zu erkennen, was die virtuellen Darsteller gerade empfinden. Die im Original zumindest sehr geglückte Synchronisation trägt letztendlich dazu bei, dass Heavenly Sword in der Echtzeit-Darstellung künstlicher Menschen als neuer technischer Maßstab angesehen werden kann.[5]
Leider hat dies keinen postiven Effekt auf die Akzeptanz der künstlichen Menschen beim Publikum. Schon mit einigen in der Vergangenheit produzierten und nun sehr deutlich mit Heavenly Sword sind Videospiele an dem Punkt angelangt, in dem sie in das unheimliche Tal, zu engl. „Uncanny Valley“ fallen. Dieser von Wissenschaftlern schon in den siebziger Jahren in der Robotik verwendete Begriff beschreibt die paradox erscheinende Ablehnung von künstlichen Figuren, obwohl sie realistischer erscheinen als arg artifizielle. Konkret bedeutet das, dass sehr abstrakte, teils auch comichaft erscheinende Charaktere den Zuschauer oder Spieler emotional stärker affektieren als solche, die den Anspruch erheben, so menschlich wie möglich auszusehen. Erst wenn sie von real gefilmten Personen kaum oder nicht mehr zu unterscheiden sind, sinkt diese Ablehnung herab. Auf einer Kurve, auf der die x-Achse den steigenden Antropomorphismus und die y-Achse die Akzeptanz des Zuschauers darstellt, bildet die Linie irgendwo in der Mitte, wo die Figuren „relativ“ realistisch aussehen, ein tiefes Tal. Daher der Begriff.

So ist Heavenly Sword Fort- und Rückschritt zugleich und befindet sich in einem sehr unfairen Teufelskreis, in dem sich zukünftige Videospiele vermutlich auch bewegen werden. Das bedeutet nicht, dass automatisch jeder einzelne Spieler sich nicht von der Ästhetik und der emotionalen Ebene des Spiels berühren lassen kann. Tatsächlich wird es einen Anteil geben, der sich sogar zu Lobeshymnen hinreissen lassen wird. Trotzdem ist es auf kurz oder lang abzusehen, dass Heavenly Sword aufgrund seiner Gameplay-Defizite und dem Effekt des Uncanny Valley nicht das Maß an Anerkennung gewinnen wird, die die investierte Mühe eigentlich rechtfertigen würde.

Heavenly Sword
Heavely Sword ist ein annehmbarer Brawler mit angenehm hoher Geschwindigkeit und einem besonders schönem Art Design. Leider fallen sämtliche Figuren trotz guter MoCap-Schauspieler in den Uncanny Valley, was die Geschichte teils negativ beeinflusst.
6Gesamtwertung
  1. [1]Bei der chinesischen Volkskultur sehr beliebtes Literatur- und Filmgenre. Im Westen am ehesten bekannt durch Filme wie „Tiger & Dragon“ oder „Hero“
  2. [2]Bedeutet aus dem chinesischen übersetzt „Flüsse und Sehen“ und ist ein im Genre sehr beliebter Handlungsort, mit dem hauptsächlich unbesiedelte Regionen bzw. die Wildnis gemeint ist. Dorthin sind viele ausgestoßene Protagonisten geflohen.
  3. [3]Festgelegte Sequenzen von Kampfbewegungen, die mit hoher Geschwindigkeit ausgeführt werden.
  4. [4]Eine umstrittene Lehre, das eigene Gewicht für Manöver kurzzeitig zu reduzieren.
  5. [5]Mitentwickelt wurden die Figuren von Andy Serkis, dem Darsteller von Gollum aus der „Lord of the Rings“-Trilogie. Er spielt auch den Tyrann Bohan. Animation und Stimme von Nariko wurden von Anna Torv beigesteuert.