Manche Begegnungen im Leben sind einfach unfair. The Witch and the Hundred Knight gab mir schon in den ersten Previews ein eher maues Gefühl, aber im Grunde genommen kann ein Action-Rollenspiel mit einer halbnackten Teeniehexe auf dem Cover doch überhaupt nicht soviel verkehrt machen, oder?

Der Hundred Knight, dessen Rolle der Spieler ausfühllt, wird von der eben erwähnten Hexe Metallia (im japanischen Original Metallica) im Zuge des Tutorials aus der Dämonenwelt beschworen, um fortan als Vertrauter für sie die Drecksarbeit zu erledigen. Das Tutorial fühlt sich schnell wie Zeitverschwendung an, da einem in epischer Breite die einfachsten Standardmanöver, wie das Umlegen von Schaltern, nahegelegt werden. Klar müssen wir erstmal einige Minuten vor einem klar übermächtigen Verfolger weglaufen (Dash-Funktion!), bevor wir ihn dann doch bekämpfen (Boss-Tutorial!).

Das grundlegende Spielprinzip, auf dem Spielfeld herumrennen, bösen Jungs ordentlich auf die Omme geben, Loot einsammeln und stärker werden. ist eigentlich unkaputtbar. Bei dem edlen Vorhaben, das Genre mit interessanten Mechaniken zu bereichern, haben die Entwickler aber nicht so richtig den Absprung gefunden und einfach eine Menge unausgegorener Systeme aufgesetzt.

Wenn das eine System nicht funktioniert, packen wir eben noch ein Dutzend weitere drauf
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Der Hundred Knight hat nicht nur eine Waffe, sondern kann gleich fünf verschiedene davon in seinem Angriff koordinieren. Verschiedene Waffentypen haben ihre eigenen Vor- und Nachteile und besondere Waffen kann man zu Boniketten kombinieren. Dabei sonderlich an die Hand genommen zu werden, sollte man aber nicht erwarten. Immunitäten verschiedener Gegnertypen gegen verschiedene Waffen behandelt das Tutorial nicht, da ist Ausprobieren angesagt. Schnell zwischen verschiedenen Waffensets hin- und her schalten darf man auch nicht, da ist jedes Mal Handarbeit angesagt.

Es gibt eine „Raid“-Mechanik, mit der man in NPC-Häuser einbrechen kann und die Bewohner verdreschen, um sie unter den Bann der Hexe zu bringen. Das bringt Items, soll aber eigentlich das eigene Karma verschlechtern. Ebenso kann man Dorfbewohner zwar angreifen, um das Karma zu senken. Diese sind aber grundsätzlich unverwundbar und laufen dann im Aggro-Zustand hinter einem her und wollen den Hundred Knight übers Knie legen. Zur Belohnung werden dann die Preise in den Shops höher (juchu?) und irgendwann gibt es ein anderes Ende (soso!).

So geht es munter weiter. Sogenannte GigaCals verbrauchen sich durch Spezialangriffe oder auch schlicht, wenn man unbekannte Sektionen des aktuellen Levels aufdeckt. An Checkpoints darf man sich zurück in das Hauptquartier der Hexe beamen um dann anschließen mit frischen GigaCals weiterzuforschen oder man kann gesammelte Bonuspunkte gegen frische GigaCals eintauschen. Der Hundred Knight frisst gefundene Items erstmal auf – wäre doch zu einfach, wenn man die Fundstücke sofort verwenden könnte. Irgendwann kann er dann noch nach Items graben, Feinde fressen, die Charakterklasse wechseln, Hilfe beschwören, und so weiter, und so fort.
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Irgendwo hinter ellenlangen, strunzlangweiligen Tutorials, nicht zu Ende gedachten, gar niemals erklärten Spielmechaniken, steckt tatsächlich ein nicht uninteressantes Spiel, dass sehr geduldigen Spielern vielleicht sogar Spaß machen wird. Vor allem was Waffen betrifft, wird im Umfang nicht gegeizt. Die vielfältigen Möglichkeiten offenbaren sich tatsächlich erst nach mehreren Stunden. Bis dahin muss man leider einiges ertragen.

Charme und Witz, Fehlanzeige

Wirklich zum Davonlaufen ist allerdings die Präsentation der Geschichte. Metallia soll sicherlich als charmanter Bösewicht mit Augenzwinkern rüberkommen, gibt sich aber als unausstehlicher Kotzbrocken, der in der YouTube-Kommentarspalte sprechen gelernt hat und dazu neigt, seine Gegenspieler auf menschenverachtende Weise zu erniedrigen. Der Spieler darf dabei nur Zustimmung, Rückfragen, Ablehnung und Schweigen demonstrieren, was keine massiven Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

Ein Beispiel aus dem Nachspiel des ersten großen Bosskampfes gegen die Waldhexe Mallia. Metallia beschimpft die am Boden liegende, Blut hustende Mallia nochmal schnell als kotzende Nutte („puking slut“), gibt ihr einen saftigen Tritt und ermahnt sie, ja ihren Galle-verkrusteten Mund („bile-encrustet mouth“) zu halten. Als Mallia ihr gesteht, dass sie ihre Mutter sei, verwandelt Metallia ihre Gegenspielern in eine Maus und beschwört ein paar männliche Mäuse, die sie mal so ordentlich durchrammeln sollen, damit Metallia noch viele Brüder und Schwestern kriegt. Als Belohnung für den Hundred Knight serviert euch ihr Diener Arlecchino dann in der folgenden Cutscene weiße Maus auf gedünstetem Gras. Na, dann mal guten Appetit.

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Solche Schlagabtausche zwischen Banalität und Brutalität darf man sich dann in breit ausgewalzten Textwüsten mit null Gefühl für Inszenierung antun. Versteht mich nicht falsch, ich bin mir ganz sicher, dass Metallia eine total tragische Kindheit hatte, die auch spätestens nach 20-30 Spielstunden total wichtig wird und dann hat man voll Mitleid und so, aber ich bin raus. Sorry – das holt keine Geschichte wieder rein.

„Metallia ist ein unausstehlicher Kotzbrocken, der in der YouTube-Kommentarspalte sprechen gelernt hat.“

Alle anderen spielen Probe

Wer in Textboxen träumt, Schimpftiraden herzig findet und sich schlecht erklärte Systeme gerne einfach über das Internet erschließt, kann mit Witch and The Hundred Knight sicherlich richtig warm werden und findet dann auch einen ordentlichen Umfang für sein Geld vor. Für mich ist das nichts. Manche Begegnungen im Leben sind halt einfach unfair, wie schon gesagt.

The Witch and the Hundred Knight
Undurchsichtige Spielmechaniken und schlechtes Pacing töten eine im Kern spannende Idee, die Geschichte eines RPGs aus der Sicht eines Bösewichts zu erleben. Hexe Metallia überschreitet zusätzlich Geschmacksgrenzen nur der Überschreitung Willen, ohne dass es der Dramaturgie großartig nützt.
5Gesamtwertung