Videospielfiguren, die Menschen nachempfunden sind, haben keine Seele. Du kannst ihnen nicht ins Gesicht sehen und ergründen wer sie sind, sondern du schaust nur auf eine leere, leblose Fläche, die deinen Blick nicht auf gleicher Wellenlänge erwidern kann. Man sagt die Augen seien der Schlüssel zur Seele; bei allen Lebewesen dieser Welt. Schau einem Hund in die Augen, und du kannst fühlen was er denkt. Blinzele einer Katze zu, und sie blinzelt vielleicht zurück. Schaue einem Menschen tief in die Augen und du kannst das Leben, das Herz, das Wesen seiner Seele fühlen. Es wäre töricht zu glauben, künstliche Figuren, die am Computer entstanden sind, könnten auch nur im Entferntesten dieses intuitive Gefühl von sich aus auslösen. Ein besonderes Dilemma ist es, wenn man ein wenig von der Technik hinter Videospielen versteht und weiß, dass die Charaktere nur aus Polygonen zusammengebaut sind. Das Gesicht dieser Figuren ist lediglich eine auf die verfügbare Rechenleistung angepasste Skulptur aus Einsen und Nullen. Die Augen sind bewegliche, senkrecht aufgestellte kleine Schalen in dem Polygonkonstrukt, welches nach außen hin irgendwie wie ein Kopf aussieht, innen aber sprichwörtlich völlig hohl ist. Da gibt es nur die nötigsten Zähne, die obere Fläche der Zunge, aber kein Hirn, keine Muskeln, keine Knochen, kein Fleisch. Videospielfiguren sind wie Marionetten. Sie ahmen etwas nach, sind aber leblos und müssen von Fäden geführt werden. Sie winken, wenn das Programm an der Schnur zieht. Sie lachen und weinen, wenn das Programm an der Schnur zieht. Und sie sterben, wenn an der richtigen Schnur gezogen wird. Dass ihr Tod keine weitere Konsequenz hat, ist in Bezug auf ihre Leblosigkeit eine merkwürdige Ironie. Wenn Videospielfiguren keine Seele haben, wie ist es dann möglich, dass Videospiele trotzdem Kunst sein können? Womöglich, weil sie andere Mittel und Wege gefunden haben, den Spieler zu berühren. Gute Spiele wissen, dass sie interaktive Komponenten einsetzen müssen, um seinen Spieler zur Exploration aufzufordern. Sie wissen Herausforderungen und Belohnung geschickt zu verteilen und sie wissen ebenso, wie man eine fremde Welt mit stetiger Aufrechterhaltung der Neugier erzählen kann. Das Umgehen lebloser Figuren bewerkstelligen Kunstwerke auf ganz mannigfaltige Weise. Skulpturen und Gemälde leben davon, dass sie mit menschlichen Händen geformt worden sind; Animationsfilme wecken kognitives Wissen und lassen das Publikum nach eigenen menschlichen Makeln suchen und das geschriebene Wort greift ganz bewusst auf die Lebenserfahrung und eigene Fantasie des Lesers zu. Die eigene Fantasie, und daraufhin die eigene Projektion auf das Erlebte. Dies ist der Schlüssel von Videospielen, die emotional auch tatsächlich berühren. Erst wenn wir bereit sind unser selbst auf die leblose Marionette, die wir steuern, zu übertragen, können wir tatsächlich mehr darin sehen als eine abstrakte Figur aus Polygonen. Dann sind wir plötzlich James Sunderland auf der Suche nach seiner Frau; dann wollen wir Kolosse besiegen, um unsere Geliebte zu retten. Dann fordern wir als Kratos die Götter heraus, kämpfen Kriege um unser Land zu befreien. Wir suchen als Drake nach verborgenen Schätzen, überstehen als Lynch bittere Straßenkämpfe oder kämpfen mit uns selbst, ob wir uns für unsere Geliebte Catherine oder unsere langjährige Freundin Katherine entscheiden. In diesem Moment haben Videospielfiguren Seele, aber es ist letzten Endes unsere eigene.