Ich habe weder einen der vorherigen Gothic-Teile, noch Risen gespielt. Zwar habe ich diese Rollenspiel-Klassiker von Freunden vorgeführt bekommen und bin auch heute noch beeindruckt von der Komplexität und dem Umfang, doch ich selbst bin gar nicht der Typ dafür. Es ist jene Art von Rollenspiel, die unheimlich viel Mühe und Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum erfordert; jene Art, in die man monatelang eintauchen könnte, in der jede Kleinigkeit mit viel Sinn und Verstand in die homogene Welt integriert worden ist. Gothic und Risen sind das Synonym von detailreichen, lebendigen und zusammenhängenden Rollenspielwelten geworden, aber sie fordern von Dir auch, dass Du eine zeitlang in ihnen lebst. Das ist ein Opfer, dass ich nicht bringen möchte. Mein Interesse an der bunten Vielfalt der übrigen Welt der Videospiele ist zu groß, als dass ich es mehr als einige Stunden in einer Spielewelt aushalten würde, bevor ich dieser überdrüssig werde und mich in die nächste stürzen möchte. Ich habe nichts dagegen, wenn man mich an einem Faden durch die Welt führt, wenn diese inspirierend inszeniert ist. Daher habe ich die meisten japanischen Rollenspiele oder Action-Adventures mit leichten RPG-Elementen, die wesentlich unkomplizierter sind, am Ende doch etwas lieber. Sie verlangen nicht von mir meine Freizeit völlig zur Verfügung zu stellen, um das volle Potential aus ihnen herauszuholen.

falsche Hoffnungen

Diese Einleitung ist wichtig, damit ihr versteht, mit welchen Augen ich „Arcania – Gothic 4“ sehe. Das Spiel hat die meisten jahrelangen Fans der Gothic-Reihe regelrecht entzürnt und einen waren Sturm an schlechten Kritiken auf allen möglichen Internetplattformen losgelöst, den es bei Release eines anderen Spiels in diesem Jahr kaum gab. Das ging der Fachpresse weitesgehend nicht anders. Die kann ohnehin nicht gut mit persönlichen Enttäuschungen umgehen und so wurde das Spiel auch dort in der Luft zerrissen.
Diese Verbitterung über das Spiel kann ich allerdings nicht richtig teilen, obwohl ich die Einwände der Fans mehr als nachvollziehbar finde. Wer sich mit „Arcania“ beschäftigen möchte, sollte vor allem wissen: Es ist vom Spielkonzept kein Gothic mehr und richtet sich nun an Gelegenheitsspieler, wodurch es eher die Funktion eines Spin-Offs bekommt. Namensgebung des Spiels und auch der Storybezug sind daher unglücklich gewählt: Man übernimmt die Rolle von einem namenlosen Helden, der als Bauer auf der Insel Feshyr sein Dasein fristet und nur in seinen Träumen Abenteuer erlebt. Er träumt dann allerdings nicht von irgendwem, sondern von König Robar III, den Serien-Veteranen aus den Vorgängern bestens kennen sollten. Besessen von einer dunklen Macht zieht dieser auf einem Beutezug durch die Lande und erreicht eines Tages auch Feshyr, wo er die meisten Inselbewohner niedermetzeln lässt, worunter sich auch die Verlobte unseres Hauptcharakters befindet. Dieser sinnt auf Rache und macht sich auf den Weg zum Festland, um den König zu töten. Auf dem Weg werden ihm einige Charaktere begegnen, die schon aus den Vorgängern bekannt sind, wie beispielsweise den Dieb Diego.

Die Freiheiten in „Arcania“ wurden gegenüber der Vorgänger erheblich reduziert. So kann man sich beispielsweise nicht mehr einer Gilde anschließen, was den Spielverlauf erheblich beeinflusst hätte, sondern führt lediglich für unterschiedliche Fraktionen Quests aus, die sich nicht großartig gegenseitig beeinflussen. Ebenso wird man keinen Trainer mehr finden, der einem neue Fähigkeiten beibringt, sondern verteilt seine Erfahrungspunkte nun nach eigenem Ermessen. Das Crafting-System wurde erheblich vereinfacht, so dass man jetzt nur noch die richtigen Zutaten, aber keinen bestimmten Ort für die Verarbeitung braucht. Einen Amboss oder eine Werkbank muss man sich also zum Schmieden oder für Alchemie nicht mehr suchen und kann dies praktisch auch irgendwo in der Pampa machen.
Aktivitäten wie etwa Schlafen, Kochen, Schleifen oder ähnliches können im Optionsmenü unter dem Punkt „Rollenspiel-Aktivitäten“ eingeschaltet werden, aber sie haben keinen Einfluss auf die Charakterwerte mehr und dienen rein der Atmosphäre. Das ist schon ein indirekter Hinweis drauf, dass das Punktesystem zur Aufwertung ebenfalls schmaler geworden ist. Aufleveln bzw. stärker machen lässt sich die Spielfigur ohnehin sehr schnell und fast von automatisch, was dezent an Spiele wie Dungeon Siege erinnert.
Weitere Einschränkungen betreffen vor allem die Darstellungen der virtuellen Welten. So gibt es beispielsweise wieder einen Tag und Nacht-Zyklus, einen Effekt auf NPCs hat dieser aber nicht. Diese laufen ohnehin unmotiviert irgendwelchen Pfaden entlang oder arbeiten rund um die Uhr. Den Gesprächsverlauf mit Charakteren kann man nicht großartig beeinflussen und hat lediglich ein paar Antworten zur Auswahl; die Reihenfolge spielt dabei keine Rolle. Figuren können nicht mehr beliebig angegriffen werden, wenn das Programm dies nicht vorsieht. Des weiteren sind die NPCs sogar so blind, dass man ihnen absurderweise direkt vor der Nase die eigenen Truhen ausrauben kann, ohne dass sie dies registrieren. Der Taschendiebstahl wurde übrigens auch gestrichen.

Gewichtsverlagerung

Für Menschen, die die Vorgänger heiß und innig geliebt haben, dürfte spätestens aber hier der Punkt im Artikel erreicht sein, an dem sie Schaum vor dem Mund bekommen haben. Für mich persönlich wiegt allerdings nur die NPC-Komponente besonders schwer, weil sie erheblichen Einfluss auf die Atmosphäre des Spiels hat. Gerade die Dialoge hätten deutlich mehr Pepp gebraucht, um der eher routinierten, für Rollenspiele fast archetypischen Geschichte mehr Drive zu geben. Das Gefühl, dass NPCs nicht mehr sind als Questgeber-Marionetten, wird man leider nie los.
Traditionsbrüche hin oder her: Die anderen Aspekte stören mich aber weniger, weil „Arcania“ den Charakter eines linearen Action-Rollenspiels besitzt. Obwohl man durchaus Bewegungsfreiheit hat, ist der Spielverlauf sehr stringend und klar strukturiert. Ein sehr vorbildliches Questlog informiert deutlich darüber, was als nächstes zu tun ist und die Karte zeigt immer an, wo der aktuelle Auftrag zu erledigen ist. Zudem dauern die allermeisten Quests nicht sonderlich lange, so dass es möglich ist auch in einer kurzen Spielsession kleine Erfolge feiern zu können. Leider sind nicht alle gestellten Aufgaben sonderlich spannend. Oft bekommt man von Wegkreuzenden äußerst profane Aufgaben – hole dies, hole das -, die die Haupthandlung künstlich in die Länge ziehen. Wer wie ich das Spiel in vielen kleineren Abständen spielt mag sich vermutlich nicht zu sehr daran stören, in einer längeren Spielsession fällt dies aber unangenehm auf.
Ebenso ist „Arcania“ sehr actionbetont und kommt mit einem einfach zu beherrschendem Kampfsystem daher, dass sich komplett mit der klassischen WASD-Steuerung spielen und sogar die Auseinandersetzung mit mehreren gleichzeitig angreifenden Gegnern bewältigen lässt. Je nach Fertigkeiten-Stufe lassen sich mit getimten Klicks auf die linke Maustaste verschiedene Schlagkombinationen vom Zaun brechen, geblockt und ausgewichen wird über die rechte Taste. Zwar sind die Gegner auch in Gruppen meist deutlich schwächer als der Hauptcharakter, durch ihre (für RPG-Verhältnisse) Schnelligkeit haben die Kämpfe aber trotzdem einen Reiz. Schade ist, dass man nur drei Zaubersprüche erlernen kann, was auch für meinen Geschmack viel zu wenig ist. Immerhin macht die Anwendung, wie beispielsweise der Feuerzauber, aber dank der schon etwas makaberen Physikengine viel Spaß. Ein wenig Grinsen muss ich nämlich schon, wenn noch brennende Monster den Hang hinunterkullern.

Überhaupt ist die audiovisuelle Gestaltung von „Arcadia“ sehr beeindruckend. Zwar sehen die Animationen leider nicht sonderlich lebensecht aus und auch wenige nicht besonders geschickte Levelgrenzen – wie etwa Seen, durch die man nicht schwimmen kann – fallen negativ auf, doch ansonsten versprüht die Optik gerade durch ihre üppige Vegetation eine gehörige Portion Flair. Schöne Details machen die Eigenheiten der verschiedenen Landschaften sehr glaubhaft und vor allem die Texturen haben viele kleine Feinheiten, was man vor allem auf Kleidung und Ausrüstung der Figuren sehr gut erkennen kann. Sogar Dungeons bzw. Höhlen, die eigentlich grösste grafische Langeweile im gesamten Rollenspiel-Genre überhaupt, sehen durch sehr plastisch wirkende Licht- und Schatteneffekte im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich gut aus.
Soundtrack und Synchronisation befinden sich ebenfalls auf einem hohen Niveau. Es ist bedauerlich, dass die Gespräche im Regelfall nicht sonderlich interessant sind, denn die Stimmen haben viel Charakter, sind erstklassig und überzeugend eingesprochen und geben selbst belanglosen Sätzen eine Aussagekraft, die sie inhaltlich eigentlich gar nicht verdient hätten. So werden die schlecht geschriebenen Texte immerhin erträglich und regen manchmal sogar zum schmunzeln an. Der orchestrale Soundtrack ist auf gewohnt hohem Niveau und unterstreicht die mittelalterliche Atmosphäre sowohl mit wuchtigen, aber auch mit dezenten, romantischen Klängen. Allerdings klingt der zweifelsohne gut komponierte Score aber auch gerade durch die klassische Instrumentalisierung relativ konventionell – das passt sicher, etwas experimentierfreudiger hätte er aber schon sein können.

zwischen zwei Stühlen

Es ist etwas schwierig eine Quintessenz aus meinen Erfahrungen mit „Arcania“ zu formen. Es hat mit den anderen Gothic-Spielen nur an der Oberfläche etwas gemeinsam, verzichtet aber ansonsten auf alles, was die Serie und somit komplexe Rollenspiele ausmacht. Stattdessen ist es komplett auf Gelegenheitsspieler gemünzt. Man weiß immer genau, was man zu tun hat; das Gefühl von Überforderung bekommt man nie.
Insofern ist es für beinharte Gothic-Fans sicher ratsam einen Bogen um „Arcania“ zu machen. Sie sind sicher besser damit beraten ein weiteres mal „Gothic 2“ zu spielen, weil sie trotz der schon oft besuchten Welt erneut ein neues Abenteuer erleben, was sich von den vorherigen unterscheiden wird. Diese Dynamik und Vielfalt bietet „Arcania“ beim besten Willen nicht.
Aber „Arcania“ ist bei weitem nicht schlecht. Es mag negativ klingen, wenn ich schreibe, dass dieser Teil ein Rollenspiel für den Mainstream geworden ist, vielleicht sogar schlicht ein Action-Adventure mit RPG-Elementen, doch das macht es erst für Einsteiger oder Gelegenheits-RPGler wie mich interessant, die sich ungern monatelang mit dem gleichem Spiel beschäftigen möchten. Selbst wer nur geringe Erfahrungen mit diesem Genre hat, dürfte sich schnell zurecht finden. An einem Punkt hat allerdings jede Zielgruppe zu knacken: Die Dramaturgie könnte wesentlich aufregender sein. Als Freund guter Geschichten in Videospielen ist mir die Story inklusive der uninspirierten Questaufgaben zu belanglos und konventionell geraten. Das ich trotzdem bis zum Schluss durchgehalten habe spricht sicher für den unkomplizierten, flotten Spielverlauf, doch wird mir diese Spielerfahrung vermutlich nicht so lange im Gedächtnis bleiben, wie es richtig gut erzählte Spiele tun würden.[1]

  1. [1]Kleine Anmerkung noch am Rande: Gespielt habe ich die PC-Version, die schon ordentlich Hardware-Power braucht, um alle grafischen Details ruckelfrei darstellen zu können. Leider kann ich kein Wort zu den Konsolen-Portierungen sagen, da ich diese leider nicht gespielt habe. Übrigens halten sich Bugs im Gegensatz zu den Vorgängern sehr in Grenzen.